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Stalins Rache: Der Untergang des sowjetischen Silberrubels

Im Herbst 1929 verkündete Josef Wissarionowitsch Stalin anlässlich des zwölften Jahrestages der Oktoberrevolution: „Wir rücken mit Volldampf auf dem Weg der Industrialisierung zum Sozialismus voran und lassen die jahrhundertealte russische Rückständigkeit hinter uns. Wir verwandeln uns in ein Land aus Metall, in ein Land der Automobile und Traktoren. Und wenn wir erst die Sowjetunion auf das Automobil und den Muschik auf den Traktor gesetzt haben, dann sollen die kapitalistischen Herrschaften, die sich so laut ihrer Zivilisation rühmen, uns einmal zu überflügeln versuchen. Dann werden wir sehen, welche Länder als rückständig und welche als fortschrittlich zu klassifizieren sind.“ (Robert Payne: Stalin, München 1989, S. 344) Um das hehre Ziel zu erreichen, wollte Stalin zunächst die Großbauern enteignen. Die Landwirtschaft sollte kollektiviert werden. Ein großer Teil der Bauern wurde gezwungen, ihre Höfe aufzugeben und sich den sozialistischen Kolchosen anzuschließen. Die Maßnahmen mussten gegen den heftigen Widerstand der Betroffenen durchgesetzt werden. Die Bauern schlachteten massenhaft Vieh, um es vor der Enteignung zu retten, ein Teil von ihnen zerstörte sogar die technische Ausrüstung. Großbauern und Störenfriede wurden in unfruchtbare Regionen umgesiedelt oder in Arbeitslager deportiert. Infolge dieses Vorgehens gingen die landwirtschaftlichen Erträge massiv zurück. Zugleich beschlagnahmte die Regierung große Mengen an Lebensmitteln, insbesondere Weizen, und verkaufte sie auf dem Weltmarkt. So sollte das für die Industrialisierung nötige Kapital beschafft werden. Eine Hungersnot war die Folge.

Josef Wissarionowitsch Stalin im Jahr 1928. [Bildquelle: Wikimedia, Materialscientist]

Während eines internationalen Gipfeltreffens fragte der britische Premierminister Winston Churchill einige Jahre später, wie viele Opfer diese Zwangsmaßnahmen gekostet hätten. Stalin saß abends nach den Verhandlungen in gelöster Stimmung mit dem Premierminister zusammen: „Er hob die Hände hoch, so dass Churchill die gespreizten Finger zählen konnte, doch trotzdem schien es unglaublich. Ebenso unglaublich schien Stalins Erklärung, die er im Ton eines Menschen äußerte, der hilflos einer Naturkatastrophe, einem Erdbeben oder Vulkanausbruch zugesehen hat.“ (Payne, S. 338) Vier Jahre habe man mit den verstockten Bauern gerungen. Zehn Millionen Menschen waren verhungert. Doch mit eiserner Hand habe er sein Ziel durchgesetzt: Wo gehobelt wird, da fallen Späne! Ob die von Stalin angegeben Zahl stimmt, ist nicht bekannt. Der britische Historiker Robert Conquest beziffert die Zahl der Opfer aus der Kollektivierung der Landwirtschaft und den in den dreißiger Jahren nachfolgenden Hungersnöten auf bis zu 14,5 Millionen Menschen.

Rubelschein des Kommissariats für Finanzen (1928). [Bildquelle: OneBid, Salon Numizmatyczny]

Die Krise in der Agrarwirtschaft führte dazu, dass die Preise stiegen. Zur Finanzierung steigender Ausgaben brachte die zentrale Gosbank zusätzliches Geld in Umlauf. Viele knappe Produkte, insbesondere Lebensmittel, wurden daraufhin nur noch gegen werthaltiges Silbergeld abgegeben. Eine Bargeldkrise war die Folge. Die aus 900er Silber hergestellten Rubel und „Poltinniks“ im Wert von 50 Kopeken verschwanden zuerst aus dem Zahlungsverkehr. Banknoten verdrängten das größere Münzgeld. Im Jahr 1930 wurde auch das Kleingeld knapp, das aus 500er Silber bestand: „Eines der anschaulichsten Beispiele für den völligen Zusammenbruch des Haushalts war die so genannte Kleingeldkrise. Da das Papiergeld immer mehr an Wert verlor, horteten die Menschen Münzen, die eine winzige Menge Silber enthielten. Das Geldsystem spaltete sich in zwei Hälften, wobei die Preise davon abhingen, ob man mit Münzen oder mit Banknoten bezahlte. Vielerorts weigerten sich die Verkäufer, Papiergeld anzunehmen. In den Häusern der Menschen sammelten sich große Mengen Silber an.“ (Stalin‘s Letter to Molotov 1925-1936, New Haven 1995, S. 188) Die Regierung musste kurzfristig weiteres Silber importieren, um für Nachschub an Kleingeld zu sorgen.

10 Kopeken, 1931, Sowjetunion (Kupfer-Nickel, 2 Gramm, 17 mm). [Bildquelle: V.L. Nummus, Online-Auction 16, Lot 2756]

Doch die zusätzliche Versorgung des Geldkreislaufes mit Kleinsilber löste das Problem nicht. Daraufhin schlug Nikolai Pawlowitsch Brjuchanow, Volkskommissar für Finanzen, den Ersatz des Silbergeldes durch Nickelmünzen vor. Georgi Piatakow, Präsident der Gosbank, schloss sich dem Vorschlag an. Aber Staats- und Parteichef Josef Stalin hatte eigene Vorstellungen. In einem Brief an Ministerpräsident Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow forderte er, zwei oder drei Dutzend an Abtrünnigen im Finanzkommissariat und der Gosbank zu erschießen und energisch gegen Schwarzmarkt-Münzhändler vorzugehen. Währenddessen wurde der Ersatz des Silbergeldes durch Nickel vorbereitet. Alles Silber sollte beschlagnahmt werden. Doch das Ergebnis der Sammelaktion ließ zu wünschen übrig. Stalin schrieb in einem Brief an Geheimdienstchef Wjatscheslaw Rudolfowitsch Menschinski vom 9. August 1930: „Das Problem ist, dass die Ergebnisse der Operation zur Beschlagnahme von Kleingeld geradezu erbärmlich sind. Es war nicht einmal wert, einen Bericht über 280.000 Rubel zu schreiben - das ist eine unbedeutende Summe. Offensichtlich haben Sie den Kassierern nur etwas abgenommen und es dabei belassen, wie es in unserem Land oft geschieht. Das ist nicht gut genug.“ (Ebenda, S. 190) Zur Strafe sollten ein paar Dutzend Kassierer erschossen werden. Das unter anderem im Zuge der Münzreform eingenommene Silber wurde ins Ausland verkauft. Im April 1932 genehmigte das Politbüro den Verkauf von 75 Tonnen Silber.

5 Kopeken, 1935, Sowjetunion (Aluminium-Bronze, 5 Gramm, 25 mm). [Bildquelle: Numista, Auction House „Rare Coins“]

Die anschließenden politischen Säuberungen überlebten weder Finanzkommissar Brjuchanow noch Gosbank-Präsident Piatakow. Sie wurden 1934 beziehungsweise 1937 hingerichtet. Wjatscheslaw Rudolfowitsch Menschinski, der Leiter des sowjetischen Geheimdienstes OGPU, starb 1938 eines natürlichen Todes. Das neue Kleingeld kam ab 1931 in Umlauf. Zunächst erschienen Stücke zu zehn, fünfzehn und zwanzig Kopeken aus Kupfer-Nickel. Im Jahr 1935 folgten die kleineren Wertstufen zu einer, zwei, drei und fünf Kopeken aus Aluminium-Bronze. Rubelstücke oder „Poltinniks“ zu 50 Kopeken wurden nicht mehr hergestellt. Stattdessen gab es neu gestaltete Banknoten.

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