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Michael Kurt Sonntag

Parthenope und Acheloos auf Didrachmen von Neapolis

Im 7. Jh. v. Chr. befand sich im unteritalischen Kampanien am Golf die alte Siedlung Parthenope. Um 470 v. Chr. gründete Kyme ganz in der Nähe eine neue Kolonie namens Neapolis („Neustadt“). Obwohl die ursprünglichen Siedler aus Kyme kamen, siedelten sich bald auch ionische Griechen, euboische Chalkider, Athener und zahlreiche Einwohner aus Parthenope an. Auf diese Weise absorbierte Neapolis schließlich die alte Siedlung Parthenope völlig. Nun hatte die Stadt zwar nur ein begrenztes landwirtschaftliches Hinterland, prosperierte aber recht schnell auf Grund eines erfolgreichen Seehandels. Neapolis besaß rechtwinklig verlaufende Straßen, eine schützende Ringmauer, zwei Marktplätze (agorai), Gymnasien, ein Theater und einen prächtigen Demetertempel. Doch auch die Sirene Parthenope wurde kultisch verehrt.


Um 421 v. Chr. nahm die Stadt griechische Flüchtlinge aus Kyme auf und gegen Ende des Jahrhunderts auch Samniten, die Gegner Roms. Zu ersten Auseinandersetzungen mit Rom kam es dann um 327 v. Chr., doch endeten diese für Neapolis glücklich im sogenannten „foedus Neapolitanum“ (Neapolitanischer Bündnisvertrag). Und da Neapolis auch später nicht zu Pyrrhos und Hannibal überlief, sondern sich gegen die beiden Invasoren verteidigte und Rom und dem geschlossenen Bündnisvertrag die Treue hielt, konnte es sowohl seine eigenständige Existenz als auch seine wirtschaftliche Blüte Jahrhunderte hindurch bewahren. Seinen Namen behielt es sogar bis heute, denn aus Neapolis wurde Neapel.

In der reichhaltigen Didrachmenprägung, die Neapolis zwischen 450 und 250 v. Chr. emittierte, dominieren die Sirene Parthenope und der Flussgott Acheloos als Münzmotive. So sehen wir vorderseitig den Kopf der besagten Sirene mit Haarband, Ohrgehänge und Halskette nach rechts, ab 275 v. Chr. auch nach links gewandt, und rückseitig den Flussgott Acheloos als männergesichtigen Stier, rechts oder links hin, der seinen Kopf dem Betrachter zuwendet und von einer fliegenden Nike bekränzt wird.

Dem Mythos zufolge handelt es sich bei der Sirene Parthenope, um jene Sirene, die sich ins Meer stürzte, nachdem der berühmte thrakische Sänger Orpheus sie „übersungen“ hatte (so zumindest die hellenistische Überlieferung), darin den Tod fand und bei Neapolis an Land gespült wurde. Aus dem Grabmal, das man ihr dort errichtete, „entsteht eine Kultstätte der Parthenope, die hier mit jährlichen Opfergaben verehrt wurde. [...] Zwischen 440 und 430 v. Chr. wurden zusätzlich jährliche Fackelläufe eingeführt.“ (Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 9, Sp. 370). Dass diese Sirene auf den Münzen von Neapolis anmutig erscheint, obwohl die Sirenen dem Mythos entsprechend bedrohliche und gefürchtete Verführerinnen waren, mag zum einen mit der kultischen Verehrung zu tun haben, die ihr nach ihrem legendären Tod in Neapolis entgegengebracht wurde, dürfte zum anderen aber auch auf die generelle Entwicklung der Kunst zur Zeit der Klassik und Spätklassik zurückzuführen sein, deren Anspruch es war, menschliche Körper und Gesichter einem klassischen Schönheitsideal entsprechend wiederzugeben. Passend zu Parthenope wurden auch die Rückseiten dieser Münzen gestaltet. Schließlich ist der bärtige, menschengesichtige Stier, den die fliegende Nike bekränzt, kein Geringerer als der Flussgott Acheloos, der Vater der Parthenope.

Aber Acheloos wurde nicht allein in Neapolis numismatisch verehrt, sondern erscheint auch auf Münzen zahlreicher anderer Städte aus Großgriechenland (Magna Graecia) und Sizilien.

Als Wassergott für den Süßwasserreichtum und die Fruchtbarkeit des Landes zuständig, trat Acheloos allerdings auch in etlichen anderen Gebieten Griechenlands in Erscheinung. Und so trugen einige Flüsse, darunter auch der größte Fluss Griechenlands, seinen Namen.

Übrigens, „im Herakles-Mythos tritt Acheloos als Mitbewerber um Deianeira auf. Zum Kampf erscheint er als Stier, als Schlange und in menschlicher Gestalt. Herakles besiegt ihn, indem er ihm das Horn abbricht. Dieses wird dann mit dem Füllhorn des Reichtums gleichgesetzt.“ (Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 1, Sp. 72).


Raritätsangaben nach Oliver D. Hoover:

Abb. 1 = R1 (25-60 Ex.)

Abb. 2 = S[carce] (60-200 Ex.)



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