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Goldenes Unikat aus Abydos

„Als Polis wurde Abydos von Miletos in der 1. Hälfte des 7. Jh. v. Chr. mit Erlaubnis des lydischen Königs Gyges an der engsten Stelle der Dardanellen auf dem asiatischen Ufer gegründet.“ (Der neue Pauly, Enzykopädie der Antike, Bd. 1, Sp. 45) Das in der Troas gelegene Abydos wird bereits in der Illias als Verbündeter Trojas erwähnt. 514 oder 496 v. Chr. wurde es von den Persern besetzt. Nachdem die akute Persergefahr 480/79 v. Chr. allerdings gebannt worden war, trat Abydos dem attisch-delischen Seebund bei und entrichtete hierfür einen jährlichen Tribut (Phoros) von 4 bis 6 Talenten. 411 v. Chr. fiel die Polis jedoch von Athen ab und wurde zum wichtigsten Stützpunkt der Spartaner in der Troas. Persisch wurde Abydos erst wieder durch den Königsfrieden (auch Friede des Antalkidas genannt) von 387/86 v. Chr. und blieb dies auch bis 334 v. Chr., als Alexander der Große nach Kleinasien übersetzte und die Griechenstädte von der persischen Herrschaft befreite. Während der Diadochenkriege, die auf den Tod Alexanders des Großen folgten, wurde Abydos von „diversen Prätendenten“ besetzt, fiel aber nach 281 v. Chr. an das Seleukidenreich. 200 v. Chr. zerstörte der makedonische König Philippos V. die Stadt. Diese wurde dann vom Seleukidenkönig Antichos III., während des Krieges gegen die Römer, neu besiedelt und befestigt, so dass ihr auch eine römische Belagerung letztlich nichts anhaben konnte. Nach dem Sieg der Römer über Antiochos III. und dem anschließenden Frieden von Apameia (188 v. Chr.) gelangte die Polis in den Herrschaftsbereich des Pergamensichen Reiches. Als dieses 133 v. Chr. an Rom kam, wurde auch Abydos römisch.


Da sich Abydos an der engsten Stelle der Dardanellen/des Hellesponts befand (siehe Karte) und den sichersten Hafen am Hellespont besaß, war es „häufig Durchgangsstation für Heereszüge von oder nach Europa, wie 480 v. Chr. unter Xerxes, der hier eine Brücke über den Hellespont schlug, oder 334 v. Chr. unter Alexandros [dem Großen].“ (Der neue Pauly, ebenda, Sp. 46)

Karte des nordwestlichen Kleinasiens in der Antike. [Bildquelle: Eva und Wolfgang Szaivert nach David R. Sear: Griechischer Münzkatalog, Bd. 2: Asien und Afrika, München 1983, S. 82]

Zu Wohlstand kam die Polis allerdings durch Zolleinnahmen, Fischfang und eigene Bodenschätze, u. a. auch Gold. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn Abydos bereits im frühen 5. Jh. v. Chr. prächtige Goldstatere sowie diverse Silbernominale (Drachmen, Diobole, Obole) prägen konnte, die vorderseitig einen stehenden Adler, als Wappenvogel der Stadt, und rückseitig ein Gorgoneion im inkusen Quadrat zeigen.


Der Goldstater, der hier näher beleuchtet werden soll, ist späteren Datums und gilt bis heute als Unikat. Er zeigt auf seiner Vorderseite das Frontalporträt einer jungen Frau, die einen Lorbeerkranz, eine mit Akanthusblättern geschmückte Stephane, dreifache Ohrgehänge und eine Perlenhalskette trägt. Die Rückseite ziert ein nach links stehender Adler mit geschlossenen Schwingen. Im linken Feld vor dem Adler befindet sich zudem das Beizeichen einer Weintraube mit zwei Weinblättern.

Abydos (Troas). Stater (um 330 v. Chr.), Gold 8,60 g, Ø um 18 mm. Münzstätte Abydos. [Bildquelle: Numismatica Genevensis SA, Auktion 6 (30. November 2010), Los 84]

Da diese um 330 v. Chr. im attischen Standard (8,6 g/Stater) geprägte Münze anepigrafisch ist, ist es einzig und allein die Ikonografie des Adlers, die uns hilft, sie nach Abydos zu verorten. Aber wer ist die Dargestellte? Nun, will man dem Auktionshaus, das diese Münze versteigerte, Glauben schenken, dann ist es die antike griechische Göttin Artemis. Hierbei untermauert das Auktionshaus seine Annahme durch eine ähnlich ausschauende Bronzemünze, deren vorderseitig Porträtierte im Katalog des British Museum (BMC 4, 36, Tafel II, 2) ebenfalls als Artemis beschrieben wird.

Abydos (Troas). Bronzenominal (um 320-200 v. Chr.), Bronze, 8,66 g, Ø 23 mm. Münzstätte Abydos. [Bildquelle: Numismatik Naumann, Auktion 79 (7. Juli 2019), Los 322]

Warum aber stellte Abydos die Göttin Artemis auf anderen Bronzemünzen der gleichen Epoche und auf späteren Silbermünzen nicht mehr mit einer so eindrucksvollen Stephane dar – in der folgenden Abbildung trägt Artemis eine Mauerkrone und gibt sich damit als Tyche-Artemis zu erkennen – und rückte stattdessen den geschulterten Bogen und Köcher als unübersehbare Elemente in den Vordergrund?

Abydos (Troas). Bronzenominal (um 320-200 v. Chr.), Bronze, 6,86 g, Ø 20 mm. Münzstätte Abydos. [Bildquelle: Classical Numismatic Group, Electronic Auction 388 (14. Dezember 2016), Los 110]
Abydos (Troas). Tetradrachmon (nach 196 - um 70 v. Chr.), Silber, 16,87 g. Münzstätte Abydos. [Bildquelle: LHS, Numismatik AG, Auktion 102 (29. April 2008), Los 268]

Handelt es sich womöglich bei der mit eindrucksvoller, reich verzierten Stephane geschmückten Göttin gar nicht um Artemis? Vergegenwärtig man sich, dass die ikonografischen Haupt-Attribute der Artemis Bogen und Köcher sind, die sie eindeutig als Jagdgöttin für jedermann erkennbar machen, und Stephane, Polos und Zepter als Attribute der Göttin Hera gelten, dann scheint die auf dem abydischen Goldstater und auf der Bronzemünze (3. Abb.) Dargestellte doch wohl eher Hera als Artemis zu sein. Denn obgleich auch Artemis auf den Silbermünzen noch eine sehr schmale, äußerst bescheidene Stephane trägt, so sind es doch der geschulterte Bogen und Köcher, die sie sofort und unmissverständlich als Artemis identifizieren.


Ganz gleich ob man die „Porträtierte“ auf dem bis heute in nur einem Exemplar auf uns gekommenen Goldstater nun als Artemis oder Hera sieht, dieses Goldstück ist eine der am feinsten erhaltenen antiken Goldmünzen überhaupt und zudem auch künstlerisch-stilistisch äußerst ansprechend und bezaubernd. Kein Wunder, wenn sie am 30. November 2010 in der Schweizer Auktionshaus Numismatica Genevensis SA aufgrund ihrer Seltenheit, ihrer exquisiten Erhaltung und ihrer „faszinierenden Erscheinung“ für 1 Million CHF zugeschlagen wurde (der Schätzpreis betrug damals 350.000 CHF).

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