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Michael Kurt Sonntag

Der Löwe in der antiken griechischen Numismatik

Der dominierende Löwe


Vergegenwärtigt man sich, dass nicht nur die frühesten Münzen, die im 7. und 6. Jh. v.Chr. in Lydien entstanden, vorderseitig einen Löwenkopf oder eine Löwenprotome zeigen (1. und 2. Abb.), sondern auch eine Vielzahl anderer archaischer Gepräge im 6. Jh. v. Chr. einen Löwenkopf oder eine Löwenprotome auf ihren Vorderseiten aufweisen, dann wird die große Faszination offenbar, die der Löwe auf die antiken Machthaber und ihre Stempelschneider von Beginn an ausübte.

Schließlich begegnet uns der Löwe im 6. und 5. Jh. v. Chr. auf den Elektronmünzen des mysischen Kyzikos ebenso wie auf den Elektronhekten des ionischen Phokaia und des lesbischen Mytilene (3. Abb.) und auf den Elektronstateren, den Elektrontriten und den silbernen Diobolen des ionischen Miletos. (4. und 5. Abb.)

In Miletos wendet der Löwe seinen Kopf sowohl auf dem Stater und der Trite als auch auf dem Diobol allerdings stets nach rückwärts im Gegensatz zu den Löwendarstellungen der übrigen Poleis, auf denen er nie zurückblickt.


Gegen Ende des 5. und zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. schmückte jedoch ein neuartiger Löwenkopf die Münzvorderseiten griechischer Münzen, sowohl im unteritalischen Rhegion als auch im ionischen Samos.

Anders als die Löwenköpfe bis dahin, die stets im Profil erschienen waren, zeigen sich diese nun plötzlich von vorn bzw. in Draufsicht. Beim Löwen aus Rhegion entsteht so ein außergewöhnlich imposanter Kopf in sehr hohem Relief. Bei dem samischen Löwen gewinnt man jedoch den Eindruck, als handle es sich genaugenommen gar nicht um einen Löwenkopf, sondern um einen Löwenskalp oder um eine Löwenmaske.


Da der Löwe, wie eben gezeigt, auf so gut wie allen Prägungen vom 7. bis zum Beginn des 4. Jh. v. Chr. immer die Vorderseite einnimmt, wird klar, er beherrscht das Erscheinungsbild dieser frühen Münzen und ist somit in der Tat dominierend.


Der verdrängte Löwe


Mit Beginn des 4. Jh. v. Chr. veränderte sich die Ikonografie der antiken griechischen Münzprägung allerdings grundlegend. Der Löwe, der bis dahin die Münzvorderseiten geschmückt hatte, wanderte nun auf die Münzrückseiten, zumal die Vorderseiten von da an den Göttern vorbehalten waren. Mit anderen Worten, die Götter verdrängten den Löwen buchstäblich aus seiner angestammten dominierenden Position. So zeigt sich beispielsweise auf den Tetradrachmen von Kyzikos das klassische Porträt der Kore Persephone, der Tochter der Demeter, auf dem Avers, während der eindrucksvolle Löwenkopf den Revers ziert.

Ebenso erscheint Zeus Labraundos auf der Vorderseite eines Tetradrachmons des karischen Satrapen Hekatomnos und ein nach rechts stehender Löwe auf der Münzrückseite.

Auf den Tetradrachmen Milets ist es das spätklassische Porträt des Apollon, das den Avers schmückt und ein majestätisch nach links schreitender und sich dabei umblickender Löwe die Zierde des Revers.

Im lukanischen bzw. süditalischen Hyele erscheint der behelmte Kopf der Athena auf den Vorderseiten der silbernen Statere und ein nach rechts oder links stehender oder gehender Löwe auf den Rückseiten.

Und auch auf einem punischen Tetradrachmon aus Sizilien ist es eine Göttin – Artemis-Tanit oder Elissa-Dido? –, die die Vorderseite schmückt, während ein majestätisch nach links schreitender Löwe vor Dattelpalme im Hintergrund die Rückseite ziert.

Auf all diesen Prägungen wurde der Löwe aber nicht nur von seinem angestammten Vorderseitenplatz verdrängt, sondern auch sein Erscheinungsbild wurde geändert. Statt des Löwenkopfes oder der Löwenprotome zeigte sich ab dem 4. Jh. v. Chr. fast überall nur noch der ganzfigurige Löwe – nach rechts oder links stehend oder schreitend.


Der Beute schlagende Löwe


Mancherorts, wie zum Beispiel im süditalischen Hyele bzw. Velia, ging man zwischen 440/435 und 280 v. Chr. allerdings noch einen Schritt weiter und versetzte den Löwen in Aktion, d. h. zeigte ihn bei der Erbeutung eines Hirsches. Gekoppelt waren diese Rückseiten stets mit dem behelmten Kopf der Göttin Athena.

Interessanterweise übernahm man das Sujet des Beute schlagenden Löwen im 4. Jh. v. Chr. aber auch im kilikischen Tarsos und prägte Silberstatere, die auf ihrer Rückseite einen Löwen zeigen, der einen Hirsch oder einen Stier reißt.

Die Vorderseite schmückt der Stadtgott von Tarsos, der thronende Baal, auch Baaltars genannt.


Der mythologische Löwe


Da die antiken griechischen Machthaber und ihre Stempelschneider aber offenbar nicht nur vom „biologischen“ Löwen fasziniert waren, sondern ebenso von der antiken griechischen Mythologie und dem darin vorkommenden Nemeischen Löwen, widmeten sie diesem oder besser gesagt dem Ringen des Herakles mit diesem vielerorts Münzen. Eine der stilistisch-künstlerisch gelungensten Darstellungen des herakleischen Ringens mit dem besagten Nemeischen Löwen findet sich auf der Rückseite eines silbernen Staters/Nomos aus dem lukanischen Herakleia.

Gekoppelt ist diese „sagenhafte“ Darstellung vorderseitig mit dem behelmten Kopf der Göttin Athena.


Auch wenn es beim flüchtigen Betrachten der nachfolgenden Münze so ausschaut, als hätten wir es wieder mit einem Löwen zu tun, so stimmt das nicht wirklich. Dargestellt ist vorderseitig nämlich kein echter Löwe, sondern das mythische Wesen Chimaira. Ein Mischwesen, das den Körper eines Löwen mit dem Vorderteil (Protome) einer Ziege und einer Schlange als Löwenschwanz vereint.

Ein fürchterliches feuerspeiendes Ungeheuer, das die Ernten vernichtete, die Felder verwüstete, die Menschen bedrohte und das dann vom tapferen Heros Belerophon auf Geheiß der Götter getötet wurde. #Antike #Löwe #Löwenprotome #Löwendarstellung #Münze #Kroisos #Stater #Hekte #Miletos #Ionien #Rhegion #Tetradrachmon #Kyzikos #Tarsos #Mythologie #NemeischerLöwe #Herakles #Herakleia #MichaelKurtSonntag

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