Coin-Grading in den USA: Interview mit dem Berliner Münzhändler Thomas Pollandt
- Dietmar Kreutzer

- vor 5 Stunden
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Thomas Pollandt führt in Berlin die Münzhandlung Münzen am Zoo. Jeden Sommer fliegt er in die USA, wo er numismatische Kurse belegt. Münzen-Online fragte, wie es dazu kam und was den amerikanischen vom deutschen Münzhandel unterscheidet.

Thomas Pollandt am Arbeitsplatz
Münzen-Online: Wie kamen Sie zu den Kursen in den USA?
Thomas Pollandt: Ich habe mich immer dafür interessiert, wie das amerikanische Grading funktioniert. Ich habe gesehen, dass die Münzen teilweise drei-, vier-, fünfache Preise von dem bringen, was sie bei uns auf dem Markt erzielen. Ih habe mich unter Kollegen nach den Hintergründen erkundigt. Die meisten konnten mir nicht helfen. Auf der World Money Fair 2012 traf ich Tom Hallenbeck, den damaligen Präsidenten der American Numismatic Association (ANA). Wir haben uns unterhalten, später sogar angefreundet. Ich habe ihn gefragt, wo man etwas über das US-Grading lernen kann. Hallenbeck erzählte, dass die ANA jedes Jahr im Sommer in Colorado Springs ein Sommerseminar gibt, in dem auch Kurse über Grading abgehalten werden. Es werden immer zwei Kurse angeboten, Einer in der ersten Woche, der zweite gleich danach. Insgesamt sind es also 14 Tage. Hallenbeck fragte, ob ich nicht vorbeikommen will, Ich bin noch im gleichen Jahr gefahren, habe beide Grading-Kurse mitgemacht. Seitdem mache ich das regelmäßig, jedes Jahr,
Münzen-Online: Was wird dort gelehrt?
Thomas Pollandt: Sehr viele verschiedene Sachen. Einmal Coin-Grading, das ist eigentlich das Populärste. Es gibt Coin Grading Basic, Coin Grading 2 und Advanced Coin Grading. Coin Grading Basic sind die Grundlagen. Coin Grading 2 ist das, was man heutzutage braucht in unserem Geschäft, die Einstufung normaler Erhaltungen. Wir arbeiten mit der Sheldon Scale von 1 bis 70 und lernen, wie die Münzen in diese Bewertungsskala einzuordnen sind. Kurse zum Erkennen von Fälschungen gibt es auch. Fälschungserkennung ist der zweitpoulärste Kurs überhaupt. Der ist immer überrannt. Ansonsten gibt es historische Geschichtskurse, etwa über römische Münzen, zum Teil auch Kunstkurse, beispielsweise zum Entwurf von Medaillen. Einer der wichtigsten Kurse ist Modern Minting Process. Dabei kann man lernen, wie Münzen gemacht werden. Es gibt auch etwas für Nachwuchshändler: How to become a coin dealer? Oder für Kuratoren, die eine Münzausstellung planen.
Münzen-Online: Was erfährt man zu den Grading-Standards?
Thomas Pollandt: Numismatic Guaranty Company (NGC) und Professional Coin Grading Service (PCGS) sind die die Marktführer im Grading. Es gibt aber auch andere. Gegradet wird unter bestimmten Laborbedingungen. Ohne Tageslicht, mit einer weßen 100-Watt-Glühbirne, alles ohne Lupe. Nur für Münzen, die kleiner sind als ein Dime, ist eine Lupe zugelassen. Wenn man als Junior Grader in einer solchen Firma arbeitet, hat man pro Münze etwa 15 Sekunden zur Verfügung. In dieser Zeit muss man die Münze anschauen, die Echtheit garantieren, den Grad notieren. Dann wird sie weitergereicht. Ein zweiter Grader folgt, der Finalizer. Er hat das letzte Sagen. Wenn der Junior Grader Mint State 65 gesagt hat, der FInalizer aber meint, es ist eine 67, dann zählt die 67.

PollandtsTeilnahmebestätigung
Münzen-Online: Inwieweit ist eine solche Bewertung objektiv?
Thomas Pollandt: Daran wird ständig gearbeitet. Die Leute werden regelmäßig evaluiert. Sie müssen Tests machen, bekommen Münzen aus Test-Sets vorgelegt und müssen sie graden. Erforderlich ist eine Übereinstimmung von 75 oder 80 Prozent mit dem Vorgesetzten, dem Finalizer, Wenn dieser Wert mehrmals nicht erreicht wird, muss der Junior Grader irgandwann seinen Abschied von der Firma nehmen. Das Grading wird also stark kontrolliert, auch die laborähnlichen Bedingungen. Bei uns in Deutschland gehen die normalen Sammler davon aus, dass eine Münze, die aus der Prägeanstalt kommt, eine 70 bekommen müsste. Alles darunter ist beschädigt. Das stimmt aber nicht. Im amerikanischen Grading ist vieles anders. Da ist wichtig, wie die Münze geprägt wurde, ob sie zirkuliert oder unzirkuliert ist. Schäden, die während des Prägeprozesses entstanden sind oder durch den Prägeprozess, gelten nicht als Beschädigung. Bei hohen Graden ist der "Luster" wichtig, also der Glanz der Münze. Und der "Strike", die Prägequalität der Münze.
Münzen-Online: Schlechte Prägungen können aber nicht auf MS 70 kommen?
Thomas Pollandt: Unwahrscheinlich. Die üblicherweise recht flau geprägten Peace-Dollars kommen höchstens auf eine 68, im Fall eines Ausreißers vielleicht auf eine 69, auf. Eine 70 gibt es da nicht. Die gibt es nur bei modernen Prägungen. Das fängt in den siebziger Jahren an, bei handgehobenen Stücken, die mehr oder weniger einzeln geprägt wurden. Bei den modernen Stücken, etwa einem Silver Eagle, wird auch bewertet, ob der Stempel noch frisch und sauber ist. Dazu muss der "Strike" komplett sein, die Münze voll ausgeprägt.
Münzen-Online: Wenn der Stempel frisch ist, hat die Münze bessere Chancen?
Thomas Pollandt: Ja, da ist das Münzbild viel schärfer. Crisp heißt das. Das kann man auch sehen. Da hat die Münze ein ganz anderes Aussehen. Wenn man einen viel genutzten Stempel hat, ist die Münze eher flau. Sie hat weniger Glanz. "Strike" und "Luster" sind also ganz wichtig, auch bei historischen Stücken. Wenn sie einen preußischen Taler von Friedrich dem Großen von 1786 oder davor haben, ist der häufig nicht voll ausgeprägt. Auf der Rückseite fehlt fast immer das Monogramm. Alle denken, das ist eine Beschädigung. Nein, ist es nicht. Die Münze ist einfach nur nicht voll ausgeprägt. Das Silber beim Prägen hat nicht ausgereicht, um die ganze Fläche auszufüllen. Ganze Partien der prägefrischen Münzen sind damit ungeprägt. Ab Mint State 60 aufwärts geht es aber um die Qualität der Prägung. Die ist mangelhaft. Auch viele moderne Münzen sind nur in MS 67, 68 geprägt. Sie kommen so aus der Prägestätte. Es gibt sie nicht besser. Nehmen Sie ein 20-Mark-Stücke der DDR, zum Beispiel das Berliner Stadtsiegel von 1987. Wenn das eine 68 bekommt, ist es top. Höher geht es nicht. Die Stücke sind ein wenig nachlässig geprägt. Die Münze hat diesen Mint State nicht wegen eines Schadens. Das ist der Unterschied zu unserem System. In Deutschland wird alles über den Schaden definiert. Randfehler spielen beim amerikanischen Grading übrigens kaum eine Rolle.

Berliner Ladengeschäft von Thomas Pollandt
Münzen-Online: Und wieso spielen die kaum eine Rolle?
Thomas Pollandt: Randfehler spielen nur dann eine größere Rolle, wenn sie über den Randstab hinaus ins Feld gehen. Aber kleinere Fehler, die nur beim Prägen entstanden sind, haben kaum eine Bedeutung. Wenn die Münze nach dem Prägeprozess in eine Kiste fällt, gibt es kleine Randkerben. Das wird von den Amerikanern nicht weiter berücksichtigt. Nur, wenn die Münze durch den Umlauf beschädigt wurde, hat es eine Bedeutung. Berücksichtigt wird dagegen ein echter edge bump, also ein Kantenstoß, bei dem sich die Münze etwas aufwölbt. Das wird berücksichtigt!
Münzen-Online: Was unterscheidet den US-Münzmarkt von unserem?
Thomas Pollandt: Das wichtigste dort sind die US-Münzen. Mindestens 80 Prozent des Marktes wird von US-Münzen beherrscht. Alles, was nicht US-Münzen sind, wird einfach unter dem Begriff "World" zusammengefasst.. Das sind aber zumeist auch amerikanische Münzen. Sie kommen nur aus Mexiko und Kanada. Mittlerweile werden sogar mehr mexikanische als kanadische Münzen gesammelt. Von denen gibt es einfach mehr. Sie stehen außerdem in dem Ruf, die Münzen für arme Leute zu sein. Sie sind einfach billig. Wer sich die teuren Stücke aus seinem Heimatland nicht mehr leisten kann, geht zu Mexiko über. Die numismatische Geschichte des Dollars fing ja in auch Mexiko an. Bis in die 1840er Jahre hinein liefen die mexikanischen Pesos mangels ausreichender eigener Stücke sogar als Dollarmünzen um. Das ist der dortige Markt. Deutsche Münzen sind für Amerikaner zumindest interessant. Die Leute mögen sie, viele haben sogar Connections dazu, über den Zweiten Weltkrieg. Es gibt Sammler, deren Eltern dort gedient haben. Die Amerikaner lieben ja Genealogie. Einige von ihnen sammeln dann altdeutsche Münzen oder deutsche Staaten. Notgeld ist extrem populär.
Münzen-Online: Auf welchen Grundsätzen beruht der Markt?
Thomas Pollandt: Es ist ein geteilter Markt. Im Prinzip gibt es sogar zwei Märkte. Sie haben einen Anlegermarkt, dazu gehören meist die gegradeten Münzen. Da geht es wie auf der Börse zu. Es gibt verschiedene Listen, die "Sheets". Das ist wie eine monatlich erscheinende Zeitung. In den "Sheets" sind alle Münzen mit Preisen aufgelistet, nach Bid and Ask, also Ankauf und Verkauf. Die Preise sind dort nach den verschiedenen Mint States aufgeführt. Die Händler richten sich auch überwiegend danach. Die schauen in ihr Sheet und sagen: Okay, ich habe jetzt fünf Dollar in Gold von 1908 in MS 64. Der steht für Bid auf 984 Dollar und Ask auf 1050. Also wird die Münze auch für etwa 980 Dollar angekauft. Das gilt aber nur für die gegradeten Münzen. Das ist der Anlegermarkt. Je höher die Münzen gegradet sind, desto teurer werden sie. Zum Beispiel der Morgan-Dollar, das ist eine der populärsten Münzen dort. Wenn man einen in Erhaltung von MS 64 hat, ist die Sache relativ klar. Liegt der Mint State deutlich darüber, gehen die Preise ins Unendliche, ins Galaktische. So ist das eben im Anlegermarkt. Da wird investiert. Die sogenanten High-End-Münzen werden von Investoren gekauft. Neben dem Anlegermarkt existiert ein zweiter Markt. In dem ist der normale Sammler unterwegs, der Raw Coins kauft, also nicht gegradete Münzen. Die sind deutlich billiger. Auf diesem Markt tummeln sich die einfachen Sammler, also Leute, die sich die teuren Sachen nicht leisten können.

Blick in Pollandts Schaufenster
Münzen-Online: Wie kommt es zu den dortigen Preisrekorden?
Thomas Pollandt: Das sind Verhältnisse, die auf dem europäischen Markt teils unverständlich sind. Das ist eine rein amerikanische Sache. Nehmen wir zum Beispiel den Franklin Half Dollar, das ist eine moderne Münze, die mit der Glocke drauf. Hierzulande ist das eine unattraktive Münze, die 30 bis 50 Euro kostet. In den USA wird so etwas in Polierter Platte mit einer speziellen Patina für 225.000 Dollar versteigert. Das ist etwas, das auf unserem Markt völlig absurd wäre. Keiner würde hier so etwas bezahlen. Aber dort wird das gezahlt. Diese Münzen wandern von Auktion zu Auktion, ähnlich wie bei uns Friedrich der Weise. Manche Münzen komme auch über die Schwelle der Million Dollar. Vor allem bei Goldmünzen ist das häufig zu sehen. Betroffen sind einmal die ganz frühen Münzen, also die ersten Münzen der Vereinigten Staaten nach der Unabhängigkeitserklärung. Von denen gibt es nur wenige Exemplare. Einige liegen in der Smithsonian Institution. Wenn von den "Frühen" eine auf den Markt kommt, ist das Pedigree zurückvollziehbar bis zu Präsident Franklin. Oder dass George Washington sie selber ausgehändigt hat. Diese Stücke kosten dann auch Millionen. Gerade bei Gold, wenn da mal eine Rarität auftaucht, geht es in die Millionen. Was ebenfalls enorme Preise bringt, sind die sogenannten Gold Wash Coins, also frühe Münzen aus der Zeit des Goldrausches.
Münzen-Online: Bekommen wir auch bald amerikanischen Verhältnisse?
Thomas Pollandt: Wohl kaum. Bei uns fehlt das Geld und die Sammlerstruktur ist anders. Es gibt allerdings auch Parallelen. Auch bei den deutschen und europäischen High-End-Münzen explodieren bei den großen Auktionshäusern gerade die Preise. Das ist ähnlich. Was super selten ist, eine super Qualität hat, wird teurer und verspricht einen enormen Erlös. Es ist wie auf dem Kunstmarkt. Da wird ein Bild einmal für fünf Millionen gekauft und später für 15 Millionen weiterverkauft, Das sind Preise für Einzelstücke. Bei herkömmlicher Ware passiert dagegen nicht viel. Das ist bei Münzen ähnlich. Das sieht man auf den Auktionen. Der Markt ist ja gläsern geworden. Früher hatte man die Kataloge, die gab es alle Jahre wieder. Da konnte man nachsehen, was sich getan hat. Da passierte aber meist nicht viel. Heute hat man über die verschiedenen Portale im Internet viele Möglichkeiten zum Preisvergleich. Man kann auch das Pedigree einer Münze verfolgen. Bei CoinArchives geht das ganz gut. Manche Münzen tauchen ja immer mal wieder auf. Besonders wenn es besondere Einzelstücke sind. Die Hig-End-Ware wird zunehmend gesucht, ist allerdings auch teuer. Da fließt aber auch extrem viel nach Amerika ab. Firmen wie Heritage oder StacksBowers kaufen auch hier.
Das Interview führte Dietmar Kreutzer




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