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Vicki Baum und das chinesische Tael


Die Schriftstellerin Vicki Baum. Bildquelle: International Movie Databank.

„Er finanzierte die großen Familien, die Landbesitz hatten. Er beschlagnahmte ihre Felder, wenn sie nicht pünktlich zum neuen Jahr zahlten, und auf all dem Grund, den er so gewann, ließ er Opium anbauen. Eine Kiste Opium brachte über sechstausend Tael, mehr als eine Kiste Silber.“ (Vicky Baum, Hotel Shanghai, Köln 1949, S. 18). In ihrem Meisterwerk der populären Literatur erzählt die österreichisch-jüdische Schriftstellerin Vicki Baum (geboren 1888 in Wien; gestorben 1960 in Los Angeles) die Geschichte der Opfer eines Luftangriffs im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg nach. Der Werdegang des Chinesen Chang Bo-gum ist dabei wohl der wendungsreichste. Als Waisenkind geboren, arbeitet sich der junge Mann als Träger in einer chinesischen Hafenstadt nach oben. Für sein erstes Geld, eine Silbermünze und siebzehn Kupferstücke, kauft er sich Strohsandalen und eine Jacke – bisher hatte er barfuß und mit freiem Oberkörper gearbeitet.

Amerikanische Erstausgabe von Hotel Shanghai (New York, 1939). Bildquelle: Henry Bemis Bookseller.

Während des Boxeraufstandes (1899-1901) ermordet er drei Europäer. Im Jackenfutter eines der Männer entdeckt er fremdes Papiergeld: „Als die Stadt sich wieder beruhigt hatte, vertraute Chang sich einem Geldwechsler an, und er bekam vierzig Tael für die fremden Papiere.“ Mit dem Geld „ging er zu einem Pfandleiher, den er in einem Teehaus kennengelernt hatte, und bot ihm das Geld gegen Zinsen an. (…) Der schrieb ein Papier, das Chang leider nicht lesen konnte, und behielt das Geld mit dem Versprechen, ihm monatlich ein Silberstück Zinsen auszuzahlen. Er selbst verdiente sechs Silberstücke an der Summe, aber das wusste Chang noch nicht, obwohl er zu klug war, um ewig ein Lastträger zu bleiben.“ (Ebenda, S. 15). Der Kontakt zu einem Bankier aus Hangchow am Westlichen See bringt die Wende in seinem Leben. Als Angestellter des alten Mannes verdient er bald die ersten zehntausend Tael für die Bank. Durch Gewalt, Härte und Hinterlist häuft Chang Bo-gum nun Tausende und Abertausende von Taels an, wird so zum reichsten Mann von Shanghai.

Chinesischer Silber-Tael in Barrenform. Bildquelle: Wikimedia, China Finance & Taxation Museum.

Was aber ist eigentlich ein chinesisches Tael? Das Tael ist eine traditionelle Gewichtseinheit für Edelmetalle, gewissermaßen die chinesische Unze. Das Wort leitet sich vom malaiischen Tahil ab, was so viel wie Gewicht bedeutet. Für größere Geschäfte waren traditionelle chinesische Lochmünzen aus Kupfer ungeeignet. Als Wertmesser wurde daher schon vor etwa 2.000 Jahren das Tael als Rechnungseinheit für Barrensilber eingeführt. Seit dem 7. Jahrhundert u. Z. pflegten Kaufleute die Silberbarren mit einem Gewicht von mehr als einem Kilogramm häufig mit sich zu führen. Kam es zum Abschluss eines Geschäftes, wurde mit abgetrennten Teilstücken des Barrens im Wert von einem oder mehreren Taels gezahlt. Ihrem Geschick bei Teilen des Silbers geschuldet, entsprachen die auf spezielle Waagen abgelegten Abschnitte in der Regel dem vereinbarten Betrag. Die gesammelten Taels konnten später beim Geldwechsler zu neuen Barren verarbeitet werden.

Tael in Münzform (China, Provinz Hupeh, 1904, Silber). Bildquelle: Coinshome.

Etwa 170 verschiedene chinesische Varianten des Taels sind bekannt. Im 19. Jahrhundert wurden gegossene und geprägte Teilstücke des Taels verwendet, außerdem Mehrfachstücke im Wert von bis zu 100 Taels. Es gibt gegossene Taels, die einer Schüssel oder einem Boot ähneln. Andere Varianten wurden als „Schuhgeld“ bezeichnet, weil ihre Form einem Seidenschuh ähnelt, wie er von vornehmen Damen getragen wurde. Das in China verwendete Wort „Sycee“ steht für feine Seide. Das Gewicht eines Taels schwankt, territorial bedingt, zwischen 32 und 39 Gramm. Das Währungssystem von Shanghai beispielsweise basierte im Jahr 1858 auf einem Tael zu 34,246 Gramm. Der Wert des Taels entsprach ab 1868 theoretisch 10 Mace, 100 Fen oder 1000 der legendären Käsch-Münzen aus Kupfer. Das Tael hatte zu dem in China verbreiteten mexikanischen Peso zu 27,073 Gramm ein festes Wechselverhältnis. Nach dem Verbot des Handels mit Silber im Jahr 1935 verschwand das Tael aus dem Zahlungsverkehr.

Banknote der Deutsch-Asiatischen Bank über ein Tael (1907). Bildquelle: Wikimedia, Trung.

Die Geschichte aus dem chinesisch-japanischen Krieg, von der Vicky Baum berichtet, schildert zuletzt den Tod des Bankiers Chang Bo-gum. Sein Sohn verschmäht das Geld des Vaters, wendet sich den Kommunisten zu. Als die Japaner im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg (1937-1945) in China einmarschieren, dient sich der Vater den Besatzern an. Erfolglos appelliert der Sohn an das Ehrgefühl seines Vaters. Im Palace Hotel von Shanghai vollendet sich während eines Luftangriffes im Herbst 1937 beider Schicksal. Während des Versuchs, das Haus über einen der Aufzüge zu verlassen, schlägt eine Bombe ein: „Chang, Vater und Sohn, im Einsturz des Schachtes verschüttet, absausend im Aufzug, der sie zur Sicherheit hinausführen sollte. Feinde in der Gesinnung (…), Materialist und Idealist, der Ausbeuter und der Vorkämpfer, der internationale Kapitalist und der nationale Fechter für Recht und Fortschritt. Unversöhnbar und doch unlösbar aneinandergebunden. Chang, der Vater, dem das Leben alles gegeben, aber eins versagt hat: die Achtung seines Sohnes.“ (Ebenda, S. 445).


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