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Dietmar Kreutzer

Werner Sombart – ein Analytiker des Kapitalismus


Volkswirt Prof. Dr. Werner Sombart (1863-1941). Bildquelle: Wikimedia, Perscheid.

Die Familie lebte im Grunewald, dem Berliner Villenviertel. Vater Werner war ein berühmter Wissenschaftler, die Mutter empfing in ihrem „Salon“ die Lokalprominenz. Der im Jahr 1923 geborene Sohn erzählt, dass er im Salon der Mutter und in der riesigen Bibliothek des Vaters aufgewachsen sei: „Das Haus war gewissermaßen um die Bibliothek herum organisiert. (…) Diese Bibliothek habe ich von meiner frühesten Kindheit an, ich kann fast sagen täglich, geplündert. Es gab damals noch kein Fernsehen. Ich lag also stundenlang auf dem Teppich und schmökerte.“ (Nicolaus Sombart, Jugend in Berlin 1933-1943, Frankfurt/Main 199, S. 13). Sein Vater hatte ein Standardwerk über die Geschichte des Kapitalismus herausgebracht. Dabei führte er den Begriff des „Kapitalismus“ in die Wissenschaftssprache ein. Wie der Philosoph Karl Marx hielt er den Sieg des Sozialismus über das Kapital für unausweichlich. Selbst leben wollte er in einem solchen System aber nicht – unter den Nazis erst recht nicht. Anfangs hatte er noch Sympathien für Hitler und dessen totalitäre Ansätze gezeigt und einige Historiker betrachten ihn aufgrund seines späteren Sozialkonservatismus und rassischen Antisemitismus, den er in seinen Werken teilte, als einen Wegbegleiter des Nationalsozialismus. Als sein Sohn am 1. September 1939 sein Zimmer betrat und begeistert vom Einmarsch der Deutschen in Polen berichtete, sah er ihn jedoch schweigend an. Dann sagte er: „Das ist das Ende Deutschlands.“ (Ebenda, S. 26).

Der Volkswirtschaftler und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) hatte in seinem Hauptwerk Der moderne Kapitalismus aus dem Jahr 1902 das herrschende System in Früh-, Hoch- und Spätkapitalismus eingeteilt. Den Frühkapitalismus siedelte er dabei im 16. bis 18. Jahrhundert an. Nach seinen Vorstellungen war der Kapitalismus vor allem durch die Persönlichkeit des Unternehmers gekennzeichnet, der Tatkraft mit Kalkül verband. Neben dem Unternehmer bildete die wachsende Rolle des Geldes ein weiteres Kennzeichen des Kapitalismus für Sombart. In einem wichtigen Fachartikel behandelte der Wissenschaftler auch die wachsende Rolle des Geldes im Frühkapitalismus. Einleitend schrieb er, dass „aller internationale Handel sich um die Edelmetalle drehte“. Für das Verständnis der Handelstätigkeit sei daher unumgänglich, zunächst die Abbaugebiete ins Visier zu nehmen: „Die wichtigsten drei Fundorte für Edelmetalle in unserer Periode waren die spanischen Kolonien, die portugiesische Kolonie Brasilien und Afrika.“ (Werner Sombart, Der Kampf um die Edelmetalle im Zeitalter des Frühkapitalismus, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 11. Band, 1917, S. 147). Zunächst ging er auf den Außenhandel der Spanier und ihrer Kolonien ein, der nur aufgrund des regelmäßigen Zuflusses von Edelmetallen aufrechterhalten werden konnte. Die Importe aus Frankreich beispielsweise waren nur mit dem Edelmetall aus Übersee zu finanzieren.

5 Guineas, Wilhelm III., 1700, 917 Gold, 42,75 g. Bildquelle: Globe Coins.

Dann wendete er sich den Quellen des britischen Goldes zu. „Der Handel mit Portugal gewinnt eine große Bedeutung seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts: seitdem die brasilianischen Gold- (und Diamant-) Felder reichere Ausbeute geben. Seitdem aber war Portugal durch den Methuen-Vertrag (1703) zu England in das Abhängigkeitsverhältnis der Kolonie zum Mutterlande geraten. Aktivhandel mit Portugal im 18. Jahrhundert bedeutet also so viel wie Handel Englands mit Portugal, das somit all sein Gold fast ausschließlich auf den Londoner Markt abführen musste: dies bewirkt zu haben, ist die weltgeschichtliche Bedeutung des Methuen-Vertrags.“ (Ebenda, S. 154).

1 Guinea, Georg III., 1787, 917er Gold, 8,4 g, Bildquelle: CoinsHome.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war man vielfach sogar der Meinung, dass alles in England umlaufende Gold aus Portugal käme. Das ist jedoch falsch. Bereits die Münzbezeichnung Guinea verrate, dass es noch eine weitere Quelle gab. Mit dem Assiento-Vertrag von 1713 habe sich England nämlich ebenso das Monopol des Handels mit Westafrika sichern können. So floss auch afrikanisches Gold in britische Häfen: Die Ausprägung der Guineen spräche Bände: „Mit dieser begann man im Jahre 1672, und zwar sollen in diesem Jahre schon 50.000 Stück geprägt sein. Von 1675 bis 1725 sind dann 578.000 Guineen geprägt worden.“ (Ebenda, S. 156). Unter Berücksichtigung aller Handelsströme, auch der nach Fernost, geriet England auf die Gewinnerstraße. Das eingehende Gold verdrängte dort seit Ende des 17. Jahrhunderts allmählich das unterbewertete Silber. So sicherten sich die Briten im Übergang zum Hochkapitalismus die erforderliche Metallbasis.

1/3 Guinea, Georg III., 1810, 917er Gold, 2,8 g, Bildquelle: Emporium Hamburg.

In den Erinnerungen des Sohnes Nicolaus Sombart gibt es nicht nur Hinweise auf das Werk des Vaters, sondern auch viele Episoden. Die Intellektuellen im Salon der Mutter waren seine Lehrer. Der Schriftsteller Bruno Goetz (1885-1954), ein Freund der Familie, lehrte Nicolaus Großzügigkeit. Ein Oberhaupt des Fürstenhauses Esterházy habe einst seinen Sohn kommen lassen, der mit Trinkgeldern knauserte. Er zog einen Hundert-Gulden-Schein aus seiner Geldbörse, zündete eine Kerze an und ließ die Banknote langsam vor den Augen seines Sohnes verbrennen: „Jetzt weißt du, welche Einstellung ein Esterházy zu Geld zu haben hat.“ (N. Sombart, S. 77). Die Hitlerjugend war im feinen Grunewald verpönt. Stattdessen huldigte man der bündischen Jugend, einem homoerotisch konnotierten Relikt des Wandervogels. Der jugendlich schöne Heinrich Graf von Einsiedel stand im Mittelpunkt des Grunewalder Bundes: „Damals war er berühmt wegen der wahnsinnig kurzen Hosen, die seine schlanken braunen Beine kokett zur Geltung brachten. (…) Er hatte seine Lieblinge und Favoriten. Wenn wir des Abends unser Zeltlager aufschlugen, war die bange Frage, wen er zu sich in sein Zelt nehmen würde.“ (Ebenda, S. 23).


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