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Dietmar Kreutzer

Almosen, Trinkgelder & Kollekten - Mark Twain auf Reisen


Im Jahr 1869 veröffentlichte Mark Twain (1835-1910) das Reisetagebuch The Innocents Abroad (dt. Die Arglosen im Ausland). Zu seinen Lebzeiten war es eine der meistgelesenen Reisebeschreibungen, zudem das damals wohl erfolgreichste Werk des US-Autors. In der 1880 entstandenen Fortsetzung A Tramp Abroad (dt. Bummel durch Europa) gab der vielgereiste Autor auch einige numismatisch interessante Episoden zum Besten.

Mark Twain verfolgte den Stil des amerikanischen Realismus. Bildquelle: Wikimedia, Library of Congress

Während eines Hafenstopps in Odessa gab Twain einer runzligen alten Frau in einer griechisch-orthodoxen Kirche ein Almosen. Beim Verlassen der Kirche fiel ihm ein, dass er das Geld für eine Hotel-Übernachtung an Land benötigte: „Ich war mit nur zwei Geldstücken an Land gegangen, beide ziemlich groß, aber von sehr unterschiedlichem Wert – das eine war eine französische Münze im Werte von vier Dollar, das andere eine türkische im Wert von zweieinhalb Cent. Mit einer plötzlichen und entsetzlichen Ahnung steckte ich jetzt die Hand in die Tasche, und wahrhaftig, ich holte den türkischen Penny heraus!“ Um die Hotelrechnung bezahlen zu können, versuchte Twain die wertvolle Münze gegen das Kupferstück auszutauschen.

Eine Goldmünze zu 20 Francs hatte einen Wert von vier Dollar. Bildquelle: Apmex.

„Ich schlich näher und kam mir unbeschreiblich gemein vor; ich hielt meinen türkischen Penny bereit und streckte gerade eine zitternde Hand aus, um den schändlichen Tausch vorzunehmen, als ich es hinter mir husten hörte. Ich fuhr zurück, als hätte man mich beschuldigt, und stand zitternd da, während ein Gläubiger eintrat und den Gang hinaufschritt.“ Schier endlos wartete Twain nun auf eine günstige Gelegenheit für den Tausch. Doch immer waren Gläubige in der Kirche, kamen und verließen sie. Endlich stand er allein vor der Frau: „Ich riss das Goldstück aus der Handfläche der armen, alten Bettlerin und ließ meinen türkischen Penny an seine Stelle fallen. Arme, alte Frau, sie murmelte ihren Dank – er traf mich ins Herz. Dann eilte ich mit der Schnelligkeit des Schuldigen davon, und selbst, als ich schon eine Meile weit von der Kirche entfernt war, sah ich mich immer noch jeden Augenblick um, ob ich verfolgt würde.“ (Mark Twain, Bummel durch Europa, Berlin 1984, S. 264).

Eine Silbermünze zu 50 Rappen hatte einen Wert von 10 Cent. Bildquelle: Numista, Heritage Auctions.

Während eines abendlichen Spazierganges in Turin blieb Mark Twain vor einem kleinen Puppentheater stehen. Zwölf oder fünfzehn Leute standen dort und schienen großen Spaß an der Vorstellung zu haben: „Als das Spiel zu Ende war, ging ein junger Mann in Hemdsärmeln mit einem kleinen kupfernen Teller herum, um zu sammeln. Ich wusste nicht, wieviel ich hineinlegen sollte, dachte aber, ich würde mich nach meinen Vorgängern richten. Unglücklicherweise hatte ich nur zwei, und die halfen mir nicht sehr, weil sie überhaupt nichts gaben. Ich hatte kein italienisches Geld bei mir, deshalb legte ich eine kleine schweizerische Münze im Werte von etwa 10 Cent hinein.“ Wenige Augenblicke später kehrte der junge Mann zu Twain zurück, hielt die schweizerische Münze hoch und sagte etwas auf Italienisch. Der Autor witterte eine Finte und antwortete in seinem Englisch: „Ich weiß, dass es schweizerisches ist, aber du musst es nehmen, sonst kriegst du gar nichts. Ich habe kein anderes.“ Als der Junge ihm die Münze in die Hand zu legen versuchte, wurde Twain allmählich ungemütlich. Er kenne die Tricks der Italiener. Er sei nicht bereit, die Münze durch ein größeres Geldstück zu ersetzen. Andere Zuschauer gäben schließlich gar nichts!“ Da trat ein Italiener an ihn heran, der Englisch beherrschte: „Sie verstehen den Jungen falsch. Er meint es gar nicht böse. Er hat nicht geglaubt, dass sie ihm absichtlich so viel Geld gegeben hätten, und so kam er zurückgerannt, um ihnen die Münze wiederzugeben, damit sie nicht fortgingen, bevor sie den Irrtum bemerkten. Nehmen sie es und geben sie ihm einen Penny – dann ist alles wieder in Ordnung.“ (Ebenda, S. 263). Tief beschämt, entschuldigte sich Twain bei dem Jungen.

Von seinem Aufenthalt aus Deutschland berichtete Mark Twain gleich mehrfach. Alles sei in diesem Land penibel geregelt. Das Trinkgeld der Hotelbediensteten bemesse man nach der jeweiligen Position in der Hierarchie des Hauses. Der Portier erhalte fünf Mark pro Woche, der Oberkellner vier, der Hausdiener drei und das Zimmermädchen zwei Mark. Ein deutscher Gast habe ihm berichtet, für einen Aufenthalt von drei Monaten teile er 90 Mark nach diesem Verhältnis auf. Twain: „90 Mark sind 22,50 Dollar.“ Als Twain in einer kleinen Seitenstraße von Frankfurt drei Zigarren und ein paar Wachshölzer gekauft habe, legte er an der Kasse ein silbernes Zwei-Mark-Stück hin. Der Mann habe, obwohl es sich um einen äußerst geringen Betrag handelte, bis auf den letzten Pfennig genau herausgegeben!

Eine Goldmünze zu 20 Mark hatte einen Wert von 5 Dollar. Bildquelle: ESG Edelmetall-Service.

Die amüsanteste Geschichte dürfte allerdings jene sein, die der Autor in einer englischen Kirche in Baden-Baden erlebte. In der Reihe vor ihm saß eine ältere Dame in billiger Aufmachung, daneben eine deutlich jüngere: „Das Äußerste geschah, als der Sammelteller zu kreisen begann; die bescheidenen Leute warfen Pfennige darauf, die Adligen und die Reichen spendeten Silber, sie aber legte mit hallendem Klang ein goldenes Zwanzigmarkstück auf die Buchablage vor sich hin! Ich sagte mir: ‚Sie hat sich von all ihren kleinen Ersparnissen getrennt, um die Achtung dieser herzlosen Leute zu erkaufen – es ist ein trostloser Anblick.‘“ Einige Zeit später war der Gottesdienst zu Ende. „Dann erhob sie sich – und die ganze Gemeinde blieb stehen, bis sie den Gang hinabgeschritten war. Es war die deutsche Kaiserin!“ (Ebenda, S. 119f.). Twain erläutert, dass es seine einzige derartige Begegnung mit einer Kaiserin gewesen sei. Im Nachhinein erfuhr er, dass sich die Kaiserin bereits seit mehreren Tagen in Baden-Baden aufhielt. Sie besuchte stets den Gottesdienst nach englischem Zeremoniell.


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