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Dietmar Kreutzer

Numismatische Kreuzfahrt: Von München nach Konstantinopel


Kreuzfahrten gab es bereits vor mehr als 100 Jahren. Im Jahr 1907 unternahm der Münchner Publizist Otto Julius Bierbaum eine solche „Seereise von 79 Tagen in die interessantesten Länder der Welt“. Seine Notizen über die Fahrt, die ihn unter anderem nach Nizza, Malta, Kairo, Damaskus, Jerusalem und Konstantinopel führte, veröffentlichte Bierbaum zwei Jahre später in Buchform. In Genua hatte der Autor mit seiner Frau das US-Dampfschiff Yankeedoodle bestiegen. Der erste längere Aufenthalt an Land führt ihn nach Monaco. Bierbaum beabsichtigte beim Roulette mit einem Einsatz von 100 Franken die Bank von Monte Carlo sprengen, wie er scherzhaft bemerkte. Das Spiel der Glücksritter wolle er nicht beschreiben: „Ich lasse es umso lieber bleiben, als ich weder die flackernden Augen der verzweiflungsvoll ihr Letztes auf eine Karte setzenden Spieler noch das müde Lächeln der Verspieler von Riesenvermögen noch die grausame Verkniffenheit in den erbarmungslosen Augen der Croupiers bemerkt habe. Ich sah es nicht, weil ich lediglich auf die dicken Fünf-Franken-Stücke guckte, die ich, gänzlich unbekannt mit den Regeln des Spiels, irgendwohin setzte, wo gerade Platz war.“ (Otto Julius Bierbaum: Die Yankeedoodle-Fahrt, Leipzig 1984, S. 22). Schon nach kurzer Zeit hatte er 50 Franken verloren. Seine Frau darauf: „Du hast gar keine Ahnung von der Sache. Lass mich machen!“ Berechnend setzte sie die Fünf-Franken-Stücke – und gewann die 50 Franken umgehend zurück! Nun setzte sie den gesamten Gewinn: „Rien ne va plus, und die schicksalsträchtige Kugel hopste wie besessen in der Roulette.“ (Ebenda, S. 23). Nachdem der Croupier das verlorene Gold und Silber einzog, zahlte er die Gewinnerin aus – die Frau des Autors: „Ping, ping, ping ließ er Goldstücke auf das Häufchen regnen, lauter Napoleon d’ors, eine unglaubliche Menge. In diesem Moment bewies meine Frau wahre Seelengröße. Sie machte, ruhig, als sei es ihr ein gemeiner Anblick, Goldstücke dutzendweise um sich zu versammeln, ihren Pompadour auf […] und ließ mit unglaublicher Gleichgültigkeit den Goldstrom hineinplätschern. Dies getan, stand sie nicht ohne Majestät auf und sagte zu mir: ‚Ich glaube, unsere letzte Trambahn muss gleich abgehn.‘“ (Ebenda).

Ein Aufenthalt in Kairo brachte neue Erlebnisse. Allein in den Straßen der Stadt unterwegs, sprach ihn ein einäugiger Ägypter an. Er wolle ihm ein ganz spezielles Haus zeigen: „Geben Sie mir 30 Francs und ich mache mit dem Besitzer ein Arrangement für Sie, über das sie sich nicht zu beklagen haben werden. Sie können dafür alle drei Stockwerke besuchen und, je nach Wahl, in einem auch etwas konsumieren.“ (Ebenda, S. 101). Mit Konsumieren meinte er jedoch keine Limonade, sondern eine „unkeusche Mahlzeit“. Bierbaum war neugierig und zahlte. Im Erdgeschoss wurde der „Tanz der Henne“ gezeigt, im ersten Stock lagen türkisch behoste Mädchen auf niederen Diwanen. Über eine Art Hühnerleiter ging es in die nächste Etage: „Wir kommen jetzt zu den beglaubigten Jungfrauen. Um diese zu sehen, müssen Sie aber noch fünf Francs zahlen.“ Nach einem empörten Hinweis auf das „Arrangement“ von vorhin erwiderte der Einäugige: „Das gilt nicht für die Extrakabinette.“ (Ebenda, S. 102). Als der Reisende alle Etagen besichtigt hatte, begab er sich auf den Heimweg. Unterwegs wartete aber eine weitere Überraschung: „Ein älterer Bakschischite, würdigen Auftretens, nicht sehr schmutzig, Silberbart, drängte sich nachts an mich, lächelte und sagte: Bakschisch. Ich hatte es eilig und ging schnell an ihm vorüber. Er aber, sich immer dicht an mich drängend, hörte nicht auf, mir die Hand vorzuhalten und Bakschisch zu säuseln. Als ich zu rennen begann, setzte auch er sich in Trab. […] Endlich war ich des Laufens müde, blieb stehen und schrie ihm ins Gesicht: Nein! Er, nochmals höchst süß: Bakschisch? Ich nochmals, höchst grob: Nein! Und da geschah etwas Verblüffendes. Er griff in seinen Busen und drückte mir ein Kupferstück in die Hand, indem er, die Brauen majestätisch hochziehend, die Lippen aber höhnisch nach unten, kurz und gar nicht süß sagte: Bakschisch! Drehte sich um und ging würdevoll weg. Erst wollte ich ihm das Kupferstück nachwerfen, aber dann besann ich mich eines Besseren und steckte es ein. Ich habe es mir zum Andenken aufgehoben. Es ist ein lehrreiches Stück Kupfer und mehr als Kupfer wert.“ (Ebenda, S. 92).

In Konstantinopel kaufte Bierbaum einen handgeknüpften Kelim für 60 türkische Pfund. Dann blieb er vor den Ständen der Buchhändler an der Tauben-Moschee stehen. Eine Reihe von Blättern mit Koransprüchen, die zu kunstvollen Schriftbildern angeordnet waren, hatte es ihm angetan: „Diese Blätter wollte ich kaufen. Ich wies auf sie und zog meine Börse. Der Händler sah mich verächtlich an, zog die Brauen hoch, hielt einen Finger an den Mund und gab eine Art Zischen von sich, nicht anders, als ob er mich wie eine Mücke fortblasen wollte. Ich verstand durchaus, stellte mich aber dumm und legte ein paar Silberstücke auf den Tisch. Der Händler schob sie leise mit dem Handrücken von sich und betrachtete seine Fingernägel mit großem Interesse. Da reizte es mich, den Versucher zu spielen: Ich legte ein Goldstück hin. Der Händler erhob sich, nahm die Bilder und – schob sie unter den Tisch. Hinter mir kollerte beifälliges Gemurmel von frommen Beobachtern des Schauspiels.“ (Ebenda, S. 181f.). An einen Ungläubigen sollten die Korantexte nicht verkauft werden! Als Bierbaum die Episode am Abend einem in Konstantinopel akkreditierten Journalisten erzählte, wollte dieser ihm helfen: „Morgen haben Sie die Bilder, von demselben Islamiten. Ich schicke Hornstein, mein Faktotum. Das ist zwar ein Jude, und der Händler kennt ihn als solchen, aber – er trägt einen Fes. Der Buchhändler hat nur das Dekorum gewahrt. Er würde den Bart des Propheten an Giaurs verkaufen, aber sehen darf man’s nicht.“ (Ebenda, S. 184). Am nächsten Tag hatte Bierbaum die Bilder.

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