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Dietmar Kreutzer

Ereignisse & Münzen: Chronik des Jahres 1978

Die Nachrichten des Jahres 1978 sind aufrüttelnd. Zum Internationalen Anti-Apartheid-Jahr forderten die westdeutschen Parteivorsitzenden Brandt, Kohl, Strauß und Genscher das Regime in Südafrika eindringlich auf, die Rassendiskriminierung zu beenden. Nach einem wochenlangen Drama um die Entführung von Aldo Moro wurde der frühere italienische Ministerpräsident am 9. Mai tot in einem Auto in Rom aufgefunden. Die Roten Brigaden hatten ihn ermordet. Am 26. August brach Sigmund Jähn als erster Deutscher in einer sowjetischen Sojus-Rakete ins All auf. Beim Gipfel auf dem Landsitz des US-Präsidenten in Camp David unterzeichneten der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat und Israels Ministerpräsident Menachem Begin am 17. September ein Rahmenabkommen für den Abschluss eines Friedensvertrages. Im Oktober des Jahres wurde ihnen dafür der Friedensnobelpreis zugesprochen: „Die Ergebnisse von Camp David werden in Israel mit Begeisterung aufgenommen, während arabische Staaten wie Jordanien und Saudi-Arabien die Vereinbarungen missbilligen. Arabische Fanatiker nennen Sadat den ‚Judas des 20. Jahrhunderts‘.“ (Chronik des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1994, S. 1143). Drei Jahre später sollte der ägyptische Präsident von Gegnern seiner Politik dafür ermordet werden. Im Oktober bekannten 682 Männer in einer Titelgeschichte des Magazins Stern: „Wir sind schwul!“ Am 18. November verübten über 900 Mitglieder einer amerikanischen Sekte im Dschungel von Guayana einen Massenselbstmord.

Einige Münzen aus der DDR reagierten auf die Ereignisse. Ein Stück zu fünf Mark auf das Anti-Apartheid-Jahr von Volker Beier und Joachim Rieß zeigt eine geballte Faust mit einem fünfzackigen Stern, aus dem Flammen schlagen. Auf dem Zehn-Mark-Stück zum sowjetisch-deutschen Weltraumflug ist die Erdkugel mit der Flugbahn einer Sojus-Rakete zur Raumstation abgebildet. Darüber hinaus kam ein Fünf-Mark-Stück zum 175. Todestag von Friedrich Gottlieb Klopstock für den inländischen Zahlungsverkehr heraus. Eine Silbermünze zu zehn Mark für den Vertrieb im westlichen Ausland würdigte den 175. Geburtstag des Chemikers Justus von Liebig, eine weitere zu 20 Mark den 175. Todestag von Johann Gottfried Herder. Die beiden Gedenkmünzen des Jahrganges aus der Bundesrepublik würdigen den 100. Todestag des Politikers Gustav Stresemann beziehungsweise den 225. Todestag des Architekten Balthasar Neumann. Die zuerst genannte Münze von Reinhard Heinsdorff zeigt ein Porträt des 1926 mit dem Friedensnobelpreis geehrten Reichskanzlers und Außenministers der Weimarer Republik. Die Randschrift lautet: „Durch Frieden und Verständigung siegen“. Die zweite Gedenkmünze von Hubert Klinkel zeigt eine Innenperspektive aus der großen Vierung der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen bei Bad Staffelstein. Im Wettbewerbsprotokoll heißt es über die Besonderheiten des Siegerentwurfs: „Der Künstler hat es verstanden, die Atmosphäre des Raumbildes Balthasar Neumanns mit einem sphärischen Gurtbogenpaar der Wölbzone überzeugend in das Rund des Münzbildes und in die Materie des Prägemetalls dreidimensional zu übertragen.“ (GeldKunst-KunstGeld, Osnabrück 2005, S. 264).

Die markanten Ereignisse des Jahres kommen jedoch nicht allein aus der Politik. Eine internationale Chronik des Rock & Pop fasst das Jahr unter der Schlagzeile „Dance, Dance, Dance“ zusammen. Im Kulturspiegel des 20. Jahrhunderts heißt es: „Das neue Codewort für Alltagsflüchtige heißt Disco. Begonnen hat es in New York, jetzt grassiert auch in Westeuropa das Discofieber.“ (Kulturspiegel, Stuttgart 1987, S. 756). Nach dem Film Saturday Night Fever mit John Travolta stürmt der Titelsong You’re the One That I Want mit John Travolta und Olivia Newton-John aus Grease an die Spitze der Hitparaden. Die Hippies der amerikanischen Anti-Vietnam-Bewegung und die protestierenden Studenten in Europa wurden von selbstverliebten Konsumenten abgelöst, die im Gewitter von Laserkanonen die Tanzböden eroberten. Statt den protestierenden Nackten von Woodstock dominierten plötzlich Kids mit knapp geschnittenen Muskelshirts und Jeans die Szene! Oben ohne kam in Mode, die Badehose wurde zum Tanga. Doch mit dem Punk formierte sich schon die Gegenbewegung. Entstanden im britischen Arbeitslosen-Milieu, hatten viele gelangweilte Jugendlichen null Bock: „Punker tragen aussortierte Klamotten, bemalen ihre Gesichter und färben die Haare, stecken sich Sicherheitsnadeln durch die Backen oder ins Ohrläppchen, schmücken sich mit Hundeketten oder auch Nazi-Symbolen.“ (Ebenda, S. 756). Das Hamburger Rockblatt Sounds schreibt: „Ein Punk ist ein Mensch, der ´nen alten Opa die Treppe runterschubst und hämisch fragt: ‚He, Opa, warum läufst du denn so schnell?‘“ (Ebenda).

Vergleichen wir die Ereignisse des Jahres mit den Inhalten der deutschen Gedenkmünzen, fällt eine große Diskrepanz auf. Die Mehrzahl der Motive sind keine Zeugnisse der Zeit, sie wirken eher aus der Zeit gefallen. Unter den DDR-Gedenkmünzen bezogen sich immerhin zwei auf aktuelle Ereignisse. Abgesehen von einer Ausgabe zum 100. Todestag von Gustav Stresemann kamen die übrigen Gedenkmünzen zu ungeraden, bemüht konstruierten Jubiläen heraus. Die Definitionen der Gedenkmünzen stellen meist auf eine Würdigung von Ereignissen und Persönlichkeiten ab. Im Geleitwort des Finanzministers zum letzten Standardwerk über deutsche Gedenkmünzen heißt es, dass das „gewachsene Emissionsprogramm mit seinen vielfältigen reliefplastischen Miniaturen Teil des geistig-kulturellen Gedächtnisses und somit identitätsstiftend für den Staat und seine Bürger“ sei. (GeldKunst-KunstGeld, S. 9). Gedenkmünzen vermitteln also politische, wissenschaftliche und kulturelle Werte. Sie dienen dem Selbstverständnis von Staat und Gesellschaft. Freilich darf eine auf Konsens angelegte Demokratie mit Gedenkmünzen keine Klientelpolitik betreiben. Die Moden der Jugend können also kein Thema sein. Wichtige Bewegungen, Ereignisse oder Ziele sollten dagegen nicht außer Acht gelassen werden. #Münze #Gedenkmünze #Chronik1978 #DDR #BRD #5Mark #ReinhardHeinsdorff #HubertKlinkel #DietmarKreutzer

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