Die Diagnose ist eindeutig: „Vom Zerfall des Karolingerreiches bis zur Einführung der Reichswährung (1875) war das Geldwesen in Deutschland ähnlich buntgefleckt wie die politische Landkarte.“ (Herbert Rittmann, Deutsche Geldgeschichte 1484-1914, München 1975, S. 17). Ende des 15. Jahrhunderts gab es 350 Territorien im Reiche, darunter Fürstentümer, Grafschaften, Herrschaften, ritterliche Besitztümer und freie Städte. Nach dem Westfälischen Frieden reduzierte sich dieser Flickenteppich auf 234 Territorien. Dabei handelte es sich um acht Kurfürstentümer, 69 geistliche Fürstentümer, 96 weltliche Fürstentümer und 61 freie Städte. Trotz zahlreicher Bemühungen, sich auf einen allgemein akzeptierten Reichstaler zu verständigen, war blieb die Vielfalt der Münzen und Münzfüße unüberschaubar.
Während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert erwiesen sich die deutsche Kleinstaaterei und die daraus resultierenden Handelsschranken immer mehr als Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung. 38 Maut- und Zollgrenzen lähmten den Verkehr. Als einer der ersten setzte sich der Wirtschaftstheoretiker Friedrich List für eine Zolleinheit innerhalb des Deutschen Bundes ein. In einer Eingabe an die Bundesversammlung aus dem Jahr 1819 schrieb er: „Achtunddreißig Zoll- und Mautlinien in Deutschland lähmen den Verkehr im Innern und bringen ungefähr dieselbe Wirkung hervor, als ob jedes Glied des menschlichen Körpers unterbunden wird, damit das Blut ja nicht in ein anderes überfließe. Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, zehn Zoll-und Mautordnungen zu studieren, zehnmal Durchgangszoll zu bezahlen. Wer aber das Unglück hat, auf einer Grenze zu wohnen, wo drei oder vier Staaten zusammenstoßen, der verlebt sein ganzes Leben mitten unter feindlich gesinnten Zöllnern und Mautnern; der hat kein Vaterland!“ (Preußisches Lesebuch, Bilder, Texte, Dokumente, Stuttgart 1981, S. 156). Nirgends sonst in Mitteleuropa herrschten solche wirtschaftsfeindlichen Zustände. Abschließend appellierte List an die Bundesvertreter: „Wir glauben Gründe angeführt zu haben, um diese erhabene Bundesversammlung zu überzeugen, dass nur die Aufhebung der Zölle und Mauten im Innern Deutschlands und die Errichtung einer allgemeinen Zolllinie des ganzen Bundes dem deutschen Handels- und Gewerbestand und somit dem Nahrungsstande überhaupt wieder aufhelfen können.“ (Ebenda, S. 156).
Die individuellen Interessen der Landesherren an Steuern und Abgaben verhinderten jedoch eine Verständigung. So ereiferte sich ein wandernder Handwerksbursche um 1830 über die deutsche Kleinstaaterei: „Von Magdeburg wanderte ich auf Preußisch-Münde und wollte mich hinüberschmuggeln nach Hannöversch-Münde, aber kam nicht hinüber; denn es herrschte damals das schändliche Metternichsche System durch ganz Deutschland, was das Reisen so erschwerte. Jeder Duodez-Fürst, deren es eine Menge gab, hatte seinen Schlagbaum und seine Münze. Es ist vorgekommen, dass ich an einem Tage drei Mal das Geld habe wechseln müssen und jedes Mal musste ich dabei verlieren. Kaum hatte man eine Meile gemacht, so war man an einem Schlagbaum, dann hieß es: ‚Wer hat ihm erlaubt, in unser Fürsten- oder Herzogtum zu kommen? Pass her!‘ Dann wurde etwas in den Pass hineingeschmiert, und man nur zu oft zurückgewiesen.“ (Carl Scholl, Lebenserinnerungen eines alten Handwerkers aus Memel, Stuttgart 1922, S. 101).
Ein weiterer Handwerksbursche berichtete, wie er und sein Kamerad bei Betreten des Territoriums von Lindau (Bayern) drangsaliert wurden: „Splitternackt wurden wir auf dem Stadthaus auf Krätze untersucht und mussten unser Reisegeld vorweisen. Ich hatte Zorn und wies den Sekretären meinen vollen Beutel. (…) Mein Reisekollege kam in arge Verlegenheit, dieweil er nur einige Kreuzer bei sich hatte. Die Sekretäre freuten sich schon, ihn in städtische Arbeit abführen zu können, wo er sich seine zehn Gulden zusammenverdienen sollte. Sie lachten bereits schadenfroh, aber ich stand ihnen entgegen, indem ich angab, mein Reisegesell hätte mir in Konstanz zehn Gulden geliehen, da ich mein Felleisen auf Fracht gegeben und erst in Nonnenbach wiederbekommen hätte.“ (Johann Eberhard Dewald, Biedermeier auf Walze, Berlin 1936, S. 81).
Das Dickicht der Währungssysteme behinderte zudem den Fernhandel. Traditionelle Konventionstaler und aus Österreich einströmende Kronentaler standen in Konkurrenz zueinander. Experimente, wie jene mit Badischen Talern und neuen rheinischen Gulden komplettierten das Verwirrspiel. Hinzu kam ein Wirrwarr an regional gültigen Kleinmünzen. Der Offizier Julius von Hartmann aus dem Hannoverschen beklagte sich bitter über die Verhältnisse: „Die Lage unseres Dorfes nahe der preußischen und nahe der hessischen Grenze gab uns dann auch eine Anschauung von der allgemeinen Verwirrung von Geld, Maß und Gewicht im lieben Deutschland. Nirgends bestand eine allgemein gültige Regelung, ja im Hannoverschen selbst hatte man die verschiedensten Münzen: Mariengroschen zu 8 guten Pfennigen, gute Groschen zu 12 guten Pfennigen, Konventions-, Andreas- und Kassen-Gulden, alle mit verschiedenem Silbergehalt geprägt, dazu preußische Taler und Silbergroschen zu 12 leichten Pfennigen, hessische Albus, Kupfer-Heller, Friedrichd‘ors, Dukaten, Pistolen; die wunderbarsten Verschiedenheiten traten zu Tage.“ (Julius von Hartmann, Lebenserinnerungen, Berlin 1882, Teil I, S. 39).
Das Ausräumen solcher Probleme nahm Jahrzehnte in Anspruch. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins wurde am 22. März 1833 die erste Hürde genommen. Mit dem Münchner und Dresdner Münzvertrag (1837/1838) sowie dem Wiener Münzvertrag (1857) konnten sich die Staaten des Zollvereins sowie Österreich und Liechtenstein über diverse Vereinsmünzen verständigen. Die vollständige Währungseinheit kam jedoch erst nach der Reichsgründung im Jahr 1871.
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