Aus Kyzikos stammen einige wenige Elektronstatere, die auf ihren Vorderseiten den nach links gewandten Kopf eines bärtigen, mit Lorbeer bekränzten Mannes mittleren Alters zeigen, der auf der Stirn, über der Augenbrauenwulst noch ein Band (Tainie) trägt, das allerdings abnutzungsbedingt nicht mehr auf allen Exemplaren gleich gut erkennbar ist.
Auf die Frage, wer der Dargestellte wohl ist, haben die Numismatiker im Laufe der letzten 100 Jahre unterschiedlich geantwortet. Bereits 1898 äußerte J. P. Six in einem Artikel, dieser Stater stelle den athenischen General Timotheos, den Sohn des Konon, dar, der 373 v. Chr. das Kommando im Krieg Athens gegen Sparta übernahm und Kyzikos 363 v. Chr. von einer persischen Belagerung befreite. Hierfür sei Timotheos dann von der Stadt mit einem goldenen Kranz geehrt worden, dem Kranz, den er auch auf der Münze trage.
G. F. Hill wiederum wollte 1925 in den Porträts dieser Elektronstatere, international bekann-te Männer der antiken griechischen Welt – vor allem Athener – sehen und nicht etwa ver-diente Kyzikener Bürger, wie von Kurt Regling 1924 suggeriert worden war. Schließlich seien diese Elektronstatere Fernhandelsgeld gewesen und ihre Zielgruppe „Ausländer“, für die die Kyzikener Bürger unbekannt und unbedeutend waren.
Nicht festlegen wollten sich etliche Numismatiker 1974 als sie erklärten: „Ob es sich bei dieser Reihe [von Elektronstateren], wie Regling … meint, um frühere Kyzikener Ortsberühmtheiten handelt oder, nach Hill, um Köpfe von Bildnisstatuen berühmter Athener, kann zur Zeit nicht entschieden werden.“ (Griechische Münzen aus der Sammlung eines Kunst-freundes, Auktion 28.5.1974, Zürich, S. 299, Nr. 212).
Zehn Jahre später allerdings legte sich Maria Regina Kaiser-Raiss fest und behauptete, dass es sich bei dem Dargestellten um den makedonischen König Philipp II. handele. „Der bärtige Porträtkopf mit Stirnband und Kranz auf den Kyzikener Elektronstateren des Typs Fr[itze] 199 stellt dieselbe Person dar wie das Elfenbeinköpfchen aus dem Grab von Aigai und das Terrakotta-Emblem von der Athener Agora. Wir meinen, dass es sich hierbei nur um Philipp II. handeln kann. Mit einiger Wahrscheinlichkeit entstanden unsere Münzen im Jahre 336 [v. Chr.], wenn auch eine posthume Entstehung unter Alexander [dem Großen] nicht völlig aus-geschlossen werden kann.“ (Maria Regina Kaiser-Raiss, Philipp II. und Kyzikos, in: Schweizerische numismatische Rundschau, Bd. 63, 1984, S. 41). Da die Ratsversammlung (Bule) von Kyzikos Philipp für seine Verdienste geehrt habe, trage er auf der Münze auch einen Lorbeerkranz. „Es ist anzunehmen, dass Philipp sich so wie in anderen Städten Kleinasiens auch in Kyzikos schon vor dem eigentlichen Feldzug des Frühjahrs 336 [v. Chr.] zu engagieren ver-suchte, mit friedlichen Mitteln, zum Beispiel materieller Unterstützung einer promakedonischen, wahrscheinlich demokratischen Parteiung.“ (M. R. Kaiser-Raiss, ebenda, S. 40). Be-züglich des Stirnbands, das „Philipp“ auf den Stateren trägt und das an der Schläfe von Haaren verdeckt wird, erklärt die Numismatikerin: „Die Taenie auf der Stirn könnte bedeuten, dass er im Jahr dieser Ehrungen zugleich eine Rolle bei den Mysterienfeiern der Stadt über-nahm; wie im Einzelnen diese aussah, ob sie der eines eleusischen Daduchos oder Hierophanten vergleichbar war, lässt sich angesichts der schlechten in schriftlichen und sonstigen Überlieferungen im Fall Kyzikos nicht sagen.“ (M. R. Kaiser-Raiss, ebenda, S. 40).
Aber längst nicht alle Fachleute waren hiernach von der These und den Argumenten von Maria Regina Kaiser-Raiss überzeugt, zumal Philipp II. selbst nie in Kyzikos war und auch die makedonische Vorhut von 10.000 Mann unter Parmenions Führung, die den Hellespont im Frühjahr 336 v. Chr. bei Abydos überquert hatte, nach Süden der Küste entlang und nicht nach Kyzikos zog. Für einige blieb deshalb der athenische General Timotheos, der Kyzikos 363 v. Chr. von der persischen Belagerung entsetz hatte, nach wie vor Derjenige, der wohl am ehesten auf dem erwähnten Elektronstater dargestellt sein dürfte.
Andere, wie Leo Mildenberg beispielsweise, wollten sich nicht festlegen und beschrieben den besagten Kopf einfach nur als „Head of bearded man laureate, l[eft],“ [Kopf eines bärti-gen mit Lorbeer bekränzten Mannes nach links,] (Ulrich Hübner, Ernst Axel Knauf [Hrsg.], Leo Mildenberg, Vestigia Leonis, Freiburg/CH, Göttingen 1998, S. 344, Tafel XLI, Nr. 10).
Fazit: In Ermangelung einer eindeutigen Porträtzuweisung muss die Frage, wer auf dem Stater dargestellt ist, weiterhin offenbleiben.
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