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"Villa Unterstrich" in Osnabrück: Forum der Erinnerung

In der kürzlich in Osnabrück eröffneten Villa_ Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte werden die Ursachen und Folgen der NS-Zeit analysiert, um für die gemeinsame Gegenwart und Zukunft zu lernen. Was bedeutet eine demokratische Zivilgesellschaft? Was bedroht sie? Und wie wirkt sich unser individuelles und gemeinschaftliches Handeln auf sie aus? Osnabrück im Nationalsozialismus ist inhaltlicher Ausgangspunkt des neuen Forums - und das nicht von ungefähr. Die Villa_ ist ja selbst Teil dieser Geschichte. Hier befand sich zwischen 1932 und 1945 die Osnabrücker Kreiszentrale der NSDAP. Als Denkanstoß wird unter anderem die Geschichte des Osnabrückers Hans Georg Calmeyer (1903-1972) beleuchtet. Der Jurist arbeitete während des Zweiten Weltkrieges für das deutsche Besatzungsregime in den Niederlanden. Ihm und seinen Mitarbeitenden gelang es, etwa 3.000 Jüdinnen und Juden vor der Deportation ins Konzentrationslager und damit vor dem Tod zu bewahren. Viele Hundert Fälle, die ihm zur Entscheidung vorlagen, beschied Calmeyer allerdings auch negativ. In einem Ausstellungsraum wird explizit die Ausplünderung der Juden durch die Nazis behandelt.


"Villa Unterstrich" in Osnabrück

Foto: Dietmar Kreutzer


Die massive Aufrüstung hatte den deutschen Staatshaushalt bis 1938 an den Rand des Bankrotts gebracht. Im November des genannten Jahres stellte Walter Bayrhoffer, der Vertreter des Reichsfinanzministeriums im Reichsbankdirektorium, die Finanzlage als "katastrophal" dar: "Es bestand kassenmäßig ein Defizit von etwa zwei Milliarden Reichsmark; die Möglichkeit, dass das Reich zahlungsunfähig wurde, stand unmittelbar bevor." (1) In dieser Situation verhängte Hermann Göring eine Judenvermögensabgabe. Unter dem Vorwand, dass die Juden eine "Sühneleistung" für den Mord an einem deutschen Legationssekretär und ihre feindliche Haltung gegenüber dem deutschen Volk zu erbringen hätten, wurde die Abgabe erhoben: "Die Judenbuße von einer Milliarde Reichsmark, die die Reichsregierung am 12. November 1938 verhängte, erhöhte die laufenden Reichseinnahmen mit einem Schlag um gut sechs Prozent. Damit sollte das akute Kassendefizit überbrückt werden." (2) Innerhalb von vier Wochen wurden 1.126.612.495,00 RM eingenommen. Andere Quellen sprechen von 1,2 Millionen RM. Weitere Maßnahmen zulasten der Juden sollten folgen.


20 Mark (Preußen, 900er Gold, 8,0 Gramm, 22,5 mm)

Bildquelle: ESG Edelmetall-Service


Doch wie vollzog sich die Enteignung aus dem Blickwinkel der Numismatik? Die ersten Maßnahmen zur Umstellung des Münzumlaufs für die Rüstung betrafen noch die ganze Bevölkerung: Die Silbermünzen der Weimarer Republik wurden zwischen 1934 und 1940 außer Kurs gesetzt. Die noch immer gültigen Goldmünzen der Kaiserzeit verloren zum 16. August 1938 ihre Funktion als Zahlungsmittel. Doch damit nicht genug. Laut einer Verordnung über die Ablieferung in- und ausländischer Goldmünzen war das geprägte Gold bis zum 1. September 1938 zum Preis von 2.784 Reichsmark pro Kilogramm bei der Reichsbank abzuliefern. Verstöße sollten nach dem Devisenstrafrecht geahndet werden. Nach Kriegsausbruch wurde auch Buntmetall requiriert. In seiner Rolle als Beauftragter für den Vierjahresplan rief Reichsminister Hermann Göring im März 1940 zu Metallspenden auf. Außerdem wurden die Markstücke und 50-Pfennig-Münzen aus Nickel eingezogen. Später verschwanden auch die Münzen zu einem, zwei, fünf und zehn Pfennig aus Kupfer, Messing und Bronze. Ersetzt wurden sie durch Rentenbanknoten und Ersatzprägungen aus Aluminium und Zink.


5 Mark (Deutsches Reich, 1939, letzter Jahrgang, 900er Silber, 13,9 Gramm, 29 mm)

Bildquelle: VCoins


In der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 wurden die Juden unter anderem dazu verpflichtet, einen Großteil ihrer Juwelen, Edelmetalle und Kunstgegenstände war bis zum 31. März 1939 bei staatlichen Ankaufstellen abzuliefern. Die Bewertung und Zahlung einer Entschädigung sollte die Ankaufstelle in Gestalt der städtische Pfandleihstellen vornehmen. Berücksichtigt wurde nur ein von Abschlägen reduzierter Materialwert. Der Erlös ist vielfach nicht ausgezahlt, sondern auf einem Sperrkonto verbucht worden. Über die Umsetzung finden sich Berichte in örtlichen Quellen. Die 81-jährige Professorenwitwe Anna Samuely etwa brachte Silbergeschirr und Besteck sowie zwei Kerzenleuchter und 19 Silbermünzen ins städtische Leihamt von Heidelberg. Der Wert ist auf 244,30 RM geschätzt worden. Die Objekte wurden öffentlich versteigert. Als Bieter traten zumeist Juweliere, Gold- und Antiquitätenhändler sowie Uhrengeschäfte auf. Ein Teil des Heidelberger Raubgutes wurde an die Berliner Reichbank geschickt, darunter Gold- und Silbermünzen sowie eine ganze "Münzsammlung von Frau Leontine Sarah Goldschmidt" (3).


Ausstellungsstücke zur "Aktion M"

Foto: Dietmar Kreutzer


In der Osnabrücker Ausstellung geht es insbesondere um die M-Aktion. M steht für Möbel. Ab 1942 wurden beschlagnahmte Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände aus "unbewachten jüdischen Wohnungen" an die Bevölkerung verteilt. Bevorzugt bedacht werden sollten Bombengeschädigte im Reichsgebiet: "In Osnabrück begann die Verwertung zurückgelassenen jüdischen Eigentums mit der ersten Deportation der ansässigen Jüd:innen am 13. Dezember 1941. Anhand von Bestandslisten, die die Deportierten selbst anfertigen mussten, wurde das Gut von der Gestapo geprüft und anschließend verwertet. in den Jahren 1943-1944 fanden in Osnabrück für Fliegergeschädigte und Kriegsversehrte über 110 Judenauktionen statt." (4) Gezeigt wird unter anderem eine Zeitungsanzeige zum Verkauf von Wohnungseinrichtungsgegenständen vom 30. März 1943, außerdem gestapelte Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände. Ein Vertiko der Gründerzeit, eine Anrichte, ein Trinkglas, ein Set von Esstellern. Alle Gegenstände kamen aus jüdischen Haushalten und wurden verauktioniert. Die Großmutter einer Spenderin: "Die stammen von den Juden."


Dietmar Kreutzer



Quellenangaben:

(1) Götz Aly: Hitlers Volksstaat, Bonn 2007, S. 61

(2) Ebenda

(3) Norbert Giovannini: Die staatliche Raubaktion 1939 am Vermögen der jüdischen Bevölkerung - Die erzwungene Ablieferung von Gold, Silber und anderen Wertgegenständen nach der Pogromnacht; auf: regionalia.blb-karlsruhe.de, S. 127

(4) Ausstellungstafel



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