Auf vielen Münzen und Medaillen finden sich Münzmeisterzeichen und Signaturen von Stempelschneidern. Lexika geben Auskunft darüber, wer sich hinter den Kürzeln und Zeichen verbirgt. Meist ist das schon alles, was über die Hersteller und Urheber von Münzen und Medaillen bekannt ist. Wer mehr wissen möchte, muss sich auf umfangreiche, häufig auch ergebnislose Recherchen einstellen. Gelegentlich helfen gedruckte Leichenpredigten weiter, in denen Lebensweg sowie Verdienste der Verstorbenen mehr oder minder glaubhaft gerühmt werden.
Die in verschiedenen Bibliotheken und Archiven lagernden „Ehrengedächtnisse“ sind von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert. Die Trauerschriften und Grabreden aus dem 16. bis 18. Jahrhundert vor allem aus dem protestantischen Raum kommen sind in gedruckter, manchmal auch handschriftlicher überliefert. Experten gehen von rund 300.000 Reden dieser Art aus. Sie gehören zur Gattung der Personalschriften, die anlässlich von Geburtstagen, Taufen, Verlobungen, Hochzeiten, Amtseinführungen, Jubiläen oder zum Tod eines Menschen entstanden und interessante Einsichten in das Leben vergangener Generationen gewähren. Nach der Erfindung der Buchdruckerei war es auch möglich, die in Kirchen und an Gräbern gehaltenen Ansprachen zu publizieren. Da allgemeiner Konsens war, nichts Schlechtes über die Verstorbenen zu sagen, enthalten die Nachrufe abgesehen von frommem Ermahnungen und die Pflicht, ein gottgefälliges Leben zu führen, manche Lobessprüche, aber auch Angaben über Ehepartner und Kinder sowie berufliche und sonstige Tätigkeiten.
Martin Luther gab Inhalt und Ziel der Leichenpredigten vor, die von Buchdruckern vervielfältigt wurden [MA-Shops, Munthandel G. Henzen]. Unten der Nachbau einer Presse in der Wittenberger Lutherhalle [Bildarchiv des Autors]
Der Brauch, Leichenpredigten zu drucken, kam im mitteldeutschen Raum, dem Kerngebiet der Lutherschen Reformation, ein paar Jahrzehnte nach der Erfindung der Buchdruckerkunst auf. Martin Luther schuf mit seinem „Sermon von der Bereytung zum Sterben“ von 1519 ein Vorbild für solche Ansprachen und beschrieb die Anforderungen an eine gute Predigt, die aus dem Lob Gottes, Trost und Erbauung der Hinterbliebenen sowie Belehrung der Trauergemeinde bestehen sollte. Der Brauch verbreitete sich rasch in Gebieten lutherischen Bekenntnisses, wurde aber auch anderenorts und sogar unter Katholiken praktiziert, wenn auch nicht so umfangreich wie in Territorien, die sich zur Reformation bekannt hatten. Da sie über die erwähnte Person von allgemeinem Interesse waren, hat man sie systematisch gesammelt, in dicke Bücher zusammengebunden und archiviert.
Die frühen Leichenpredigten bestanden fast ausschließlich aus der eigentlichen Predigt, in der biographische Notizen zum Verstorbenen nur vereinzelt auftauchen. Erst nach 1570 kamen detailliertere Angaben über die zu Grabe getragene Person zu beobachten. Gegen Ende des 16. und im Laufe des 17. Jahrhunderts gesellen sich zu Predigt und Lebenslauf weitere Bestandteile wie Trauergedichte, Trauerkompositionen und bei hochstehenden Personen auch bildliche Darstellungen. Da die lutherische Kirche mit den Trauerschriften zeigen wollte, dass auch unter ihrem Dach seliges Sterben mit der Gewissheit auf die Gnade Gottes möglich ist, hat man den Predigten auch Schilderungen der Sterbeszene und des sie begleitenden geistlichen Rituals hinzu gefügt.
Nicht jedem Toten wurde eine Leichenpredigt gewidmet. Hauptsächlich adlige Personen, wohlhabende Bürgertum und tüchtige Beamte wurden mit solchen Würdigungen bedacht. Je nach Stand und Vermögen hat man die Drucke mit Porträts, aber auch Noten und Texten von Trauerkompositionen ausgestattet. Die Auflagen schwankten zwischen 100 und 300 Exemplaren, in der Regel hatten die Drucke einen Umfang von zehn bis 20 Seiten. Bei „fürstlichen Leichen“ konnten sie 100, 200 und mehr Seiten in Folio oder gar Großfolio umfassen. Die Leichenpredigten waren auch als geistliche Erbauungsliteratur beliebt und erlebten manchmal Neuauflagen. Etwa 40.000 verschiedene Leichenpredigten soll Reichsgräfin Sophie Eleonore zu Stolberg-Stolberg (1669–1745) gesammelt haben. Der evangelische Theologe Philipp Jacob Spener (1635–1705) hat ebenfalls diese Drucke zusammengetragen, die Mitte des 18. Jahrhunderts aus der Mode kamen.
Herzog August der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel war ein gelehrter Mann, der eine umfangreiche, nach ihm benannte Bibliothek besaß und mit viel Geld ausbaute. Die berühmte Buch- und Schriftensammlung bewahrt tausende Leichenpredigten, darunter auch solche von numismatischem Interesse [Wikimedia, Losch]
Seit 1974 wird die HAB zu einer außeruniversitären Forschungs- und Studienstätte für europäische Kulturgeschichte ausgebaut, wobei die zahlreichen Bücher und Schriften zur deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts den Schwerpunkt bilden. Die Herzog August Bibliothek (HAB) in Wolfenbüttel besitzt eine bedeutende Sammlung numismatischer Literatur vom 16. bis 18. Jahrhundert, die intensiv zu Forschungen zur Geschichte der Numismatik und über Biographien ihrer Protagonisten genutzt werden. Unter den Folianten und ab der Barockzeit auch Zeitschriften finden sich viele seltene und ausgefallene Schriften, wie Peter Berghaus in dem von ihm 1995 bei Harrassowitz in Wiesbaden herausgegebenen Buch „Numismatische Literatur 1500–1864. Die Entwicklung der Methoden einer Wissenschaft“ (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 64) betont. Systematisch aufgearbeitet wurde bereits die Literatur über die antike Numismatik, es folgen Untersuchungen über Bücher, die Münzforscher nach 1500 auch mit anderen Themen publiziert haben. Die Leichenpredigten blieben immer im Blick. Sie wurden von Marina Arnold in einem 2008 veröffentlichten Buch bearbeitet und katalogisiert. Im Internet kann der Katalog unter der Adresse www.hab.de zu Recherchen benutzt werden.
Der Wolfenbütteler Herzog trat durch eine bemerkenswerte Münzprägung hervor. Hier ein Wildemanntaler von 1662 [Peus 406/1393] und ein Glockentaler von 1643 [Peus 395/1659]
Im Internet kann der „Katalog der gedruckten Leichenpredigten und anderen Leichenschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel“ unter der Adresse www.hab.de zu Recherchen benutzt werden. Vom 1. Oktober 2000 bis zum 4. Februar 2001 hatte die HAB unter dem Titel „Der erbauliche Tod – Die Sammlung der Gräfin Sophie Eleonore zu Stolberg-Stolberg“ eine Ausstellung gezeigt. Im Begleitheft werden unter anderem der „Katalog der Leichenpredigten und anderen Leichenschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel“ vorgestellt und seine Benutzung im Internet erläutert. Insgesamt besitzt die HAB 13.151 solcher Nachrufe auf 7170 Personen. Allerdings sind in dem Katalog keine Volltexte zu finden, sondern nur Angaben zum Leben der Verstorbenen und bibliographische Beschreibungen der zugehörigen Drucke einschließlich von so genannten Programmata academica (Universitätsreden), Epicedien (Trauergedichte) sowie Briefe, Trauerkantaten und Illustrationen und ihre Urheber.
Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz [Harald Möller 70/675; Wikimedia] und der Dichter Gotthold Ephraim Lessing [Lanz 126/944] förderten im 18. Jahrhundert als Bibliothekare die von Herzog August begründete Buch- und Schriftensammlung.
W. D. Müller-Jahnke ist unter dem Titel „Leichenpredigten auf Münzmeister und Münzpersonal des 17. und 18. Jahrhunderts“ in den „Geldgeschichtlichen Nachrichten“ Heft 63 (Januar 1978, S. 9-11) auf diese Dokumente näher eingegangen. Es mag erstaunen, dass bei einem Konvolut von über 13.000 gedruckten Nachrufen so wenige Leichenschriften erhalten sind, die sich auf das Personal von Münzstätten beziehen. Die Bearbeiter räumen Forschungsbedarf ein, denn die frühen Leichenpredigten enthalten noch keine Lebensläufe, so dass nicht ohne weiteres auf den Beruf des Verstorbenen geschlossen werden kann. Hingegen erwähnen spätere Nachrufe Berufe und Funktionen der Verstorbenen. Es kann sein, dass jemand, der als Münzbeamter fungierte, im Wolfenbütteler Katalog aber unter einer anderen Profession geführt wird. So ist mit weiteren Entdeckungen zu rechnen.
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