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Dietmar Kreutzer

Karneval für Caralampio: Die Bankiers der Spieltische


Das jährliche Fest zu Ehren des Heiligen Caralampio in den Straßen einer mexikanischen Kleinstadt um 1900 glich einem Karneval: „Was diese drängenden und schiebenden, sich stoßenden und sich drückenden Menschen hier eigentlich suchten, wussten sie ganz gewiss nicht. Es war hier nichts zu kaufen, was sie nicht ebenso gut und besser und billiger und bei weitem zuverlässiger zu jeder beliebigen Zeit in irgendeinem Geschäft der Stadt hätten kaufen können. Aber jeder trug auf seinem Gesicht einen Ausdruck, als ob er erwarte, hier echte Goldstücke für einen Peso das Stück kaufen zu können.“ (B. Traven, Der Karren, Berlin 1963, S. 160).


Von den Tischen, an denen um Geld gespielt wurde, galt der mit dem hölzernen Roulette als der ergiebigste. Die Spieler, die um den Tisch herumstanden, waren von der Rechtschaffenheit seines Besitzers überzeugt. Mit nur einem Toston, also 50 Centavos, konnte man reich werden. Einige Stammspieler blieben stundenlang, setzten ihr Geld nach bestimmten Regeln. Zwanzig oder dreißig Pesos nahmen sie auf diese Weise ein. Doch erst bei 100 wollten sie aufhören. Gewannen sie, zahlte der Besitzer den Gewinn mit lautem Geschrei aus: „Hier Caballero, wieder fünf Pesos gewonnen für ihren Toston. Sie machen mich zu einem armen Manne. Ich werde morgen meinen Tisch schließen. Ich habe eine Familie zu ernähren. Aber ich bin Ehrenmann. Neues Spiel beginnt, Caballeros. Setzen, setzen, Caballeros. Se fue. Rrrr. Quince negra. Wer hat die schwarze fünfzehn? Niemand? Setzen, Caballeros, setzen; neues Spiel beginnt!“ (Ebenda, S. 164f.).


Wenn der Roulettetisch nachts um eins schloss, hatten jedoch weder die Gelegenheits- noch die Stammspieler gewonnen, sondern allein der Besitzer. Dass dieser den Tisch überhaupt so lange offenhalten konnte, war seinen parallel geführten „Verhandlungen“ zu danken. Offiziell hätte er nämlich bereits um 21 Uhr schließen müssen. Kam ein Polizist zu dieser Zeit an seinen Tisch, eilte der „Bankier“ zum Polizeichef in der Cantina und trank ein Gläschen Comiteco Añejo mit ihm. Dabei zog er fünf Pesos aus der Tasche und drückte sie dem Polizeichef in die nach unten hängende Hand: „Sie haben doch Familie, Jefe? Ist für die Kinder.“ (Ebenda, S. 165).


Als um zehn erneut ein Polizist erschien, gab der Besitzer vom Roulette ihm einen Peso. Dann suchte er den Polizeichef erneut auf. Diesmal waren allerdings zehn Pesos fällig. Außerdem verwies der Beamte mit einer leichten Kopfbewegung auf seinen Arbeitgeber, den Bürgermeister. Der saß mit einer Flasche Bier an einem anderen Tisch. Der Roulette-Besitzer verstand und ging hinüber. Während eines Smalltalks fragte er: „Ich habe gehört, sie wollen hier ein Hospital bauen. Wollen Sie mir erlauben, Señor Presidente, dass ich einen kleinen Beitrag leiste?“ – „Mit allem Dank der Bürgerschaft“, nickte der Presidente. (Ebenda, S. 167). Fünf Goldstücke verschwanden unter dem Arm des Bürgermeisters. Ungerührt ließ der Mann die 20-Peso-Stücke in seine Tasche gleiten.


Welchen Wert eine Münze hatte, die auf diese Weise eingesetzt wurde, lässt sich dem Roman aus dem sechsteiligen Caoba-Zyklus ebenfalls entnehmen: Für einen Quinto, fünf Centavos, kauften Indianer ihre Tabakblätter beim Händler. Für einen Medio, sechs Centavos, bekam man gemahlenen Kaffee. Ein junger Carretero, ein Transportarbeiter, verdiente am Tag etwa 20 Centavos. Pro Monat kam er auf diese Weise auf maximal sechs Pesos. Verfügte er über mehrere Jahre an Erfahrung, konnte sein Einkommen auf zwölf Pesos steigen. Ein Grundschullehrer erhielt 25 Pesos. Der Jefe Politico, der Chef eines großen Distriktes, konnte auf 600 Pesos im Monat kommen. Einnahmen, die aus Erpressung oder Bestechung kamen, waren da noch nicht eingerechnet. Ein Posten an der Verwaltungsspitze galt daher als Traum jedes Mexikaners. Die werthaltigste Münze war in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts das goldene 20-Peso-Stück. Der silberne Peso hatte acht Reales. Vier Reales ergaben somit einen Toston zu 50 Centavos.



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