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Interview mit Uta Wallenstein vom Münzkabinett Gotha

Aktualisiert: 8. Apr.

Auf Schloss Friedenstein in Gotha hatte Herzog Ernst I. im 17. Jahrhundert eine Münzstätte eingerichtet. Etwa zu dieser Zeit wurde der Grundstein für eine numismatische Sammlung gelegt, die heute zu den bedeutendsten in Deutschland gehört. Im Interview mit Münzen-Online berichtet die Leiterin des Münzkabinetts über die Geschichte der Sammlung und ihre Tätigkeit während der aktuellen Schließzeit aufgrund von Sanierungsarbeiten.


Uta Wallenstein

Bildquelle: Münzkabinett Gotha


Münzen-Online: Wie kam es dazu, dass das Gothaer Münzkabinett über eine derart umfangreiche und wertvolle Sammlung verfügt?


Uta Wallenstein: Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg, der Bauherr des 1643–1654 errichteten Schlosses Friedenstein, legte den Grundstein für die im 18. Jahrhundert zu europäischer Bedeutung aufsteigende numismatische Sammlung. 1712 gelang seinem Enkel, dem münz- und medaillenbegeisterten Friedrich II., durch Ankauf einer mehr als 18.000 Objekte umfassenden Münzsammlung eine grandiose sammlungspolitische Bedeutungssteigerung. Die numismatischen Bestände bezogen nun in einem prächtig ausgestatteten Kabinett ihr Domizil, dessen Eröffnung 1713 feierlich begangen wurde. Dieser im historischen Schlossensemble erhaltene Barockraum (Forschungsbibliothek Gotha) ist weltweit einzigartig und darf als eine Perle des Friedensteins gelten. Seitdem stellt die numismatische Sammlung eine eigene Abteilung auf dem Friedenstein dar und konnte durch das Wirken namhafter Numismatiker und numismatisch interessierte Herzöge über Jahrhunderte hinweg stetig gemehrt werden. Heute reiht sich das Gothaer Münzkabinett in Deutschland mit seinen ca.145.000 Münzen, Medaillen und numismatischen Zeugnissen unmittelbar hinter die großen Kabinette von Berlin, Dresden und München ein und ist eine wichtige Anlaufstelle für internationale wissenschaftliche Forschungen.


Schloss Friedenstein

Bildquelle: Wikimedia, Sander


Münzen-Online: Was geschah mit den im Zuge des Zweiten Weltkrieges verloren gegangenen Teilen der Münz- und Medaillensammlung?


Uta Wallenstein: Infolge der Nachkriegsereignisse des Zweiten Weltkriegs erlitt das Münzkabinett ebenso wie andere Gothaer Sammlungsbereiche mit den Abtransporten umfangreicher Bestände unter amerikanischer sowie sowjetischer Besatzung ab Mai 1945 herbe Verluste. Auf Beschluss des Ministerrats der UdSSR zur Rückgabe der deutschen Kunstschätze vom Juli 1958 begannen im August die Rücktransporte der ausgelagerten kostbaren Kunstschätze nach Berlin, Potsdam, Dresden, Leipzig, Dessau und Gotha. 1959 kehrten zahlreiche Münzen und Medaillen nach Gotha zurück. Unter protokollarischer Aufnahme wurden diese gezählt. Insgesamt waren es 91.288 Objekte. Durch diese Rückgewinnung konnte ein Teil der klaffenden Bestandslücken wieder geschlossen werden. Durch den Rückerwerb des Gesamtbestandes „Coburg“ mit ca. 16.000 Objekten im Jahr 2011 konnte ein weiterer wesentlicher Bestandteil des historischen barocken Universums wieder restituiert werden. Dies ist kulturpolitisch eine herausragende Leistung.


Herzogliches Museum

Bildquelle: Münzkabinett Gotha


Münzen-Online: Wie kamen Sie selbst an das Münzkabinett? Was fasziniert Sie an ihrer Arbeit?


Uta Wallenstein: Als Studentin der Klassischen Archäologie und Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena absolvierte ich 1983 ein längeres Praktikum im Münzkabinett Gotha. Während des Studiums hatte ich bereits an einem Seminar zum Thema „Antike Numismatik“ teilgenommen und dabei die reiche und faszinierende Bilderwelt der griechischen und römischen Münzen kennengelernt. In Gotha führte mich der damalige Leiter des Münzkabinetts, Dr. Wolfgang Steguweit, auf begeisternde Art intensiver in die Numismatik ein. Er weckte mein Interesse für dieses Fachgebiet, das mich immer mehr in seinen Bann zog. Die Sammlung „Römische Münzen“ wurde mir zur Bestimmung und Revision übertragen und bald war auch ein Thema für meine Diplomarbeit gefunden: „Die Familienangehörigen des Kaisers Augustus auf den römischen Reichsmünzen“. Die propagandistischen Aussagen und ikonografischen Programme, die sich auf Münzen und Medaillen manifestieren, faszinierten mich in der Folgezeit zunehmend. Seit September 1984 bin ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin für antike Numismatik im Gothaer Münzkabinett tätig, ebenso als Kustodin für die Sammlungen Ägypten und Antike. Nach dem Weggang des letzten Fachdirektors des Münzkabinetts im Jahr 1993 wurden mir zusätzlich die Leitung des Kabinetts und die Betreuung des numismatischen Gesamtbestandes übertragen. Oft projektbezogen, griffen meine Publikationen, Ausstellungen und Vorträge in den folgenden Jahrzehnten unterschiedlichste Themen aus diesen Fachbereichen auf. Neben einer Vielzahl numismatischer Kabinettpräsentationen fanden auch große Ausstellungen statt. So präsentierte das Gothaer Münzkabinett 2005 unter dem Titel „Medailleure des Barock – Künstler der Residenzhöfe“ im Festsaal von Schloss Friedenstein aus eigenem Bestand eine umfangreiche Werkschau namhafter Künstlerpersönlichkeiten. Mehr als 270 Objekte von 17 Medailleuren waren aus der Zeit des Frühbarocks bis hin zum Rokoko zu sehen.


Münzkabinett auf Schloss Friedenstein

Bildquelle: Kulturstiftung der Länder


Münzen-Online: Während der Sanierung auf Schloss Friedenstein ist das Münzkabinett geschlossen. Werden nun gar keine Münzen gezeigt?


Uta Wallenstein: Im Jahr 2012 wurde anlässlich des 300. Jahrestags der Gründung des Gothaer Münzkabinetts eine neue numismatische Dauerausstellung im Westflügel von Schloss Friedenstein eröffnet. Infolge der aktuell stattfindenden umfangreichen Sanierungsarbeiten am Friedenstein musste jedoch ebenso wie die gesamte historische Raumflucht dieses Flügels auch der Ausstellungsraum „Münzkabinett“ freigeräumt werden. Deshalb sind zurzeit leider nur wenige repräsentative Münzen und Medaillen innerhalb des Schlossrundgangs in den Barockräumen zu sehen.


Münzen-Online: Was machen Sie während der Schließzeit? Welcher Anteil der Bestände an Münzen und Medaillen ist digital zugänglich?


Uta Wallenstein: Im Mai 2020 startete in der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha das Digitalisierungsprojekt gotha transdigital 2027 mit dem Ziel, schrittweise die national und international bedeutenden Sammlungsbestände der Fachwelt und der breiten Öffentlichkeit gleichermaßen und umfänglich als online-Collection zugänglich zu machen. Gefördert wird dieses Großprojekt mit dem Alleinstellungsmerkmal Gotha durch Mittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Thüringer Staatskanzlei. Bis 2024 wurden etwa 80.000 Objekte des Gothaer Münzkabinetts hochauflösend fotografiert und in unsere interne Datenbank eingespielt. Seither erfolgt eine Anreicherung der Datensätze mit Metadaten, die den international gängigen Standards entsprechen. Schrittweise werden die Objekte nun über unsere Onlinekataloge (friedensteine.de und gotha.digital) der breiten Öffentlichkeit zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt. Zu den ersten Konvoluten, die tiefenerschlossen wurden, zählten die Münzsammlung des in Gotha ansässigen Medailleurs Christian Wermuth, welche sich bereits seit 1706 im Münzkabinett befindet und die Sammlung römischer Goldmünzen, die 2011 aus Coburg zurückkehrte. Für den Zeitraum des Projektes gotha transdigital 2027 sind am Münzkabinett ein weiterer Numismatiker und eine Museologin angestellt.


Die Fragen stellte Dietmar Kreutzer. 

 

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