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„Die Stadt und die Hunde“: Münzgeschichten in Mario Vargas Llosas erstem Roman


Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa (geb. 1936). Bildquelle: Wikimedia, Vagen.

Die Sitten an der Kadettenschule Leoncio Prado von Lima (Peru) sind rau. Die minderjährigen Zöglinge aus den Armenvierteln bilden eine Maffia, die Unangepasste und Schwache unter den Schülern terrorisiert. Es gibt eine Strategie, nach der Zigaretten und Alkohol in das kasernenartig abgeriegelte Schulgebäude geschmuggelt werden, darüber hinaus „die Diebstähle und den Verkauf von Examensfragen, die Zusammenkünfte bei Paulino, die Nachtausflüge über die Mauer im Stadion La Perlito, die Pokerpartien in den Toiletten, die Onanier-Wettbewerbe, die Vergeltungsmaßnahmen, die Wetten …“ (Marion Vargas Llosa: Die Stadt und die Hunde; Frankfurt/Main 1980, S. 313). Plötzlich wird ein Kadett, der „Sklave“, auf einer Übung hinterrücks erschossen. Wer ist für den Mord verantwortlich, wer toleriert ihn, wer versucht ihn zu vertuschen? Der Literatur-Nobelpreisträger Vargas Llosa weiß, wovon er schreibt. In seinem ersten Roman aus dem Jahr 1962 verarbeitete er die Zeit, die er selbst als Jugendlicher an dieser Schule verbrachte. Anfang 1965 wurden, um ihn für diesen Roman zu bestrafen, tausende Exemplare seines Buches direkt am Ort der Handlung verbrannt.


Szenenfoto aus der Filmfassung des Romanes (Peru 1985). Bildquelle: DAFO Cultura.

Das immerfort knappe Geld spielt in dem Roman eine gewichtige Rolle. Der „Dichterling“ Alberto, in dem sich unschwer der Autor Vargas Llosa erkennen lässt, verrät zu Beginn während eines Ausganges seinen Freund, den „Sklaven“. Er ist mit dessen Freundin zum Kino verabredet. Geld für diesen Kinobesuch hat er bis jetzt allerdings nicht: „Er wollte sich gerade auskleiden, da entdeckte er auf dem Nachtkästchen einen Umschlag, auf dem in Blockschrift sein Name stand. Er öffnete das Kuvert und zog einen Fünfzig-Sol-Schein heraus.“ (Ebenda, S. 110). Teresa, mit der er verabredet ist, geht es weniger gut. Sie kommt aus dem Barrio, dem Armenviertel von Lima. Als Teresa bei einer Freundin duschen will, sagt deren Mutter: „Kostet einen Sol. Hast du so viel?“ Teresa hielt ihr die Münze hin. Das Geldstück funkelte nicht, es war ein abgegriffenes, mattes Sol-Stück. „Bleib nicht zu lange drin“, warnte die Frau. Es gibt nur wenig Wasser.“ (Ebenda, S. 96).


Die Währungseinheit Sol (deutsch: Sonne) gibt es seit 1863 in Peru. Der Wert des silbernen Sol zu 10 Dineros und 100 Centavos entsprach zunächst dem des französischen Franc. Mit dem Übergang zum Goldstandard wurde 1898 die Währungseinheit Libra eingeführt. Die goldene Libra im Wert von 10 Soles entsprach in Gewicht und Legierung einem britischen Sovereign. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise musste Peru im April 1931 den Goldstandard aufgeben. Der Wert des Sol de Oro verfiel: „In die Nachkriegszeit trat der Sol de Oro mit einem Dollar-Kurs von etwa 15,5 Soles (1952) ein. 1955 war er auf 19 Soles gesunken; er gehörte nun zu den weicheren Währungen Südamerikas; 1967 betrug sein Kurs etwa 27 Soles und Mitte 1972 waren auf dem freien Devisenmarkt 43,50 Soles erreicht.“ (Herbert Rittmann, Moderne Münzen, München 1974, S. 268).

1 Sol de Oro, Peru, 1943-1965, Bronze, 14 g, 33 mm. Bildquelle: Numismatic Guaranty Corp.

Zum Zeitpunkt der Romanhandlung im Jahr 1952 kursierten Soles aus Bronze und Centavos aus Zink. Der großformatige Sol war die Standardmünze. Auf seiner Vorderseite ist das peruanische Wappen abgebildet, das unter einem Kranz aus Eichenlaub ein Lama, einen Chinarinden-Baum und ein Füllhorn zeigt. Es wird von einem Palmen- und einem Lorbeerzweig gerahmt. Auf der Rückseite prangt die Wertbezeichnung, die auch noch Jahrzehnte nach dem Ende des Goldstandards die Umschrift trägt: „Die Zentralreservebank von Peru zahlt dem Einlieferer ein Gold-Sol“.


Die bronzenen Münzen im Wert eines halben Sol, also 50 Centavos, spielen im Roman von Mario Vargas Llosa eine besondere Rolle. Sie dienen als Preisgeld. Die entsprechenden „Wettbewerbe“ werden von der Figur Paulino organisiert, der den Kiosk auf dem Schulgelände betreibt. In einem Hinterzimmer finden regelmäßig „Partys“ für die Jugendlichen statt. Aus seinem Versteck holt Paulino zu Beginn jeder Selbstbefriedigungsorgie einen Beutel hervor: „Er schüttelte ihn und man hört das Klimpern von Geldstücken. Sein Gesicht zeigte eine ungewöhnliche Erregung, die Nasenflügel bebten, die bläulichen, weit offenen Lippen wölbten sich nach vorn, wie auf der Suche nach Beute.“ (Ebenda, S. 128).


Wer zuerst „fertig“ ist, bekommt das Klimpergeld: „Hier sind rund zehn Sol drin, hauptsächlich Fünfzig-Centavos-Stücke“, erklärte Paulino. „Und im Versteck ist noch eine Flasche Pisco für den zweiten.“ (Ebenda, S. 128). Kadett Boa „gewinnt“. Er keucht, lässt den Kopf zurücksinken. Den zweiten Platz belegt der „Sklave“. Wenig später naht die verhängnisvolle Übung, die einer der Kadetten nicht überleben wird. Vor dem Beginn des Manövers streiten Gamboa, Huarina und Calzada, drei Offiziere, welche Kompanie wohl das Zielschießen gewinnen wird: „Wollen wir wetten, General?“ fragte Calzada. - „Fünf Libras.“ – „Ich halt die Kasse“, schlug Huarina vor. – „In Ordnung“, antwortete Calzada. „Still, da kommt der Pirana.“ (Ebenda, S. 194). Auch dieser Ausscheid wird einen Gewinner haben: Einer der Schüsse tötet den „Sklaven“.


1 Libra, Peru, 1898-1969, 917er Gold, 8 g, 22 mm. Bildquelle: Dom Aukzyjny Numimarket.

Die Bezeichnung Libra für einen Betrag von 10 Soles kommt aus der Zeit des Goldstandards. Als reguläre Handelsmünzen sind die so benannten Goldstücke zwischen 1898 und 1932 in einer Auflage von mehreren Millionen Exemplaren geprägt worden. Auch Münzen im Wert einer halben und einer fünftel Libra wurden hergestellt. Auf der Vorderseite ist das peruanische Wappen abgebildet, auf der Rückseite ein rechtsgewendetes Porträt von Manco Cápac, des ersten Inkaherrschers, der um 1200 im heutigen Cusco lebte. Die letzten Exemplare der ersten Münzserie sprangen 1930 vom Stempel. Im Jahr 1959 wurde die Prägung wieder aufgenommen. Nun kamen die Münzen nicht mehr im Außenhandel zum Einsatz, sondern wurden zu Anlagezwecken verkauft. Mit dem Erfolg anderer Anlagemünzen in Unzen-Stückelung, insbesondere des südafrikanischen Krügerrands, wurde die Prägung eingestellt. Die letzten Exemplare tragen die Jahreszahl 1969.

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