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Michael Kurt Sonntag

Die Münzdesignreform des Jahres 1916

Nachdem die USA bereits 1907 die 10- und 20- Dollar-Münzen, 1908 die 2½- und 5-Dollar-Münzen, 1909 die 1-Cent- und 1913 die 5- Cent-Stücke neu gestaltet hatten, drängte der Münzdirektor Robert W. Woolley 1915 darauf, auch die Bildmotive der 10 Cents (Dime), der 25 Cents (Quarter) und der 50 Cents (Half Dollar) dem Zeitgeist entsprechend zu erneuern. Da die Münzentwürfe des damaligen Chefgraveurs Charles E. Barber der Kommission der Schönen Künste (Commission of Fine Arts) allerdings missfielen – Barber war übrigens der Schöpfer der Dime-, Quarter- und Half Dollar-Münzen, die von 1892 bis 1916 umliefen –, wählte die Kommission die Bildhauer Adolph A. Weinman, Hermon Atkins MacNeil und Albin Polasek aus und betraute sie mit der neuen Aufgabe. Sie alle kamen von außerhalb der US-Mint.


Die Hoffnung des Münzdirektors, wonach jeder dieser Künstler ein Nominal schaffen würde, erfüllte sich allerdings nicht, weil die Entwürfe von Albin Polasek nicht die Zustimmung der Kommission fanden und so schließlich entschieden wurde, dass Adolph A. Weinman die Dime-Münze und den Half Dollar und Hermon A. MacNeil den Quarter gestalten sollten. Die Münzen, die diese Künstler dann schufen und die die US-Mint ab 1916 prägte, fanden nich nur die Zustimmung des damaligen Publikums, sondern erfreuten sich während der letzten 100 Jahre auch bei Münzsammlern einer so enormen Beliebtheit, dass sich die US-Mint 2016 dazu entschloss, zum 100. Geburtstag dieser drei Münznominale, Goldabschläge für Sammler zu produzieren. Diese Abschläge sind, wenn man einmal von den Aufschriften AU 24 K bzw. ¼ bzw. ½ OZ. und den Jahreszahlen 2016 absieht, absolut identisch mit den Originalen von 1916.


Die von Adolph Weinmann entworfene Dime-Münze heißt auch „Mercury Dime“, weil sie auf ihrer Vorderseite den Kopf der Liberty trägt, der mit einer geflügelten phrygischen Mütze bedeckt ist und damit an den antiken Gott Merkur erinnert, der ebenfalls immer mit geflügeltem Helm dargestellt worden war. Die Flügel an der phrygischen Mütze der Liberty symbolisierten aber von Anfang an Gedankenfreiheit und haben in Wirklichkeit nichts mit Merkur zu tun. Die Rückseite zeigt ein antikes römisches Rutenbündel mit Beil und einen Olivenzweig. Anders aber als in der Antike, als die Liktoren solche „fasces“ genannten Bündel als Symbole der Amts- und Strafgewalt der römischen Magistrate trugen, symbolisiert das Rutenbündel der amerikanischen Dime-Münze Amerikas Bereitschaft zur militärischen Verteidigung. Der Olivenzweig wiederum steht für den Friedenswunsch der USA.

Der Quarter Dollar von Hermon MacNeil zeigt auf seiner Vorderseite die stehende Allegorie der Freiheit (Standing Liberty), die in ihrer Rechten einen Ölzweig und in ihrer Linken einen Rundschild trägt, der mit dem US-Wappen geschmückt ist, und nennt darüber die Umschrift LIBERTY. Genaugenommen steht die Freiheitsallegorie aber nicht einfach statisch da, sondern tritt aus einer Mauer, auf der sich das Motto IN GOD WE TRVST sowie 13 Sterne befinden, hervor. Auf der Rückseite sehen wir einen Weißkopfseeadler im Flug, der links von 7 und rechts von 6 Sternen umgeben ist, und lesen die Staatsbezeichnung, die Nominalangabe und das Motto E PLVRIBVS VNVM.


Auf die Frage, warum die Barbusigkeit der Liberty jedoch schon bald beseitigt wurde und diese ab 1917 mit einem Kettenhemd bekleidet erscheint, ist unterschiedlich geantwortet worden. Während ein Teil der Fachwelt schnell der Ansicht war, dies sei eindeutig das Werk der Wächter der Prüderie („guardians of prudery“) gewesen, die durch ihre Gesellschaft zur Unterdrückung des Lasters („Society for the Suppression of Vice“) sofort Druck auf das Treasury Department ausgeübt hätten, um solch „unmoralische“ Münzen umgehend aus dem Verkehr zu ziehen, sieht ein anderer Teil die Ursache hierfür wo ganz anders. Dieser macht nicht irgendwelche Gesellschaften oder einen öffentlichen Aufschrei gegen diese Münzen dafür verantwortlich, sondern sieht viel mehr das Treasury Department selbst in der Verantwortung. In Anbetracht der Tatsache, dass der Erste Weltkrieg 1917 auch für Amerika in immer größere Nähe rückte, habe es im Treasury Department die Bestrebung gegeben, die Stärke und Verteidigungskraft der Liberty symbolisch noch zu erhöhen. Wenn die Freiheit ihren Feinden symbolisch entgegentreten sollte, dann besser völlig gerüstet und nicht halbnackt. Für diesen Teil der Fachleute hatte die Bedeckung der Brust ihre Ursache im näher rückenden Weltkrieg. Die Tatsache, dass das Oberteil der Liberty ein Kettenhemd und nicht irgendein Textilteil war, beweist vielleicht am ehesten, dass die Wächter der Prüderie damit herzlich wenig zu tun hatten – hätte denen doch schon ein simples Stücken Stoff gereicht, um das Anstößige zu überdecken.

Der Half Dollar Adolph Weinmans zeigt vorderseitig die nach links schreitende Freiheitsallegorie. Diese trägt auf ihrem Haupt die phrygische Freiheitsmütze, ist in die amerikanische Nationalfahne gehüllt und hält in ihrem linken Arm einen Lorbeer- und einen Eichenzweig. Im linken unteren Münzfeld erscheint zudem die aufgehende Sonne. Die Münzlegende lautet: LIBERTY / IN GOD WE TRUST. Rückseitig sehen wir einen majestätischen nach links stehenden Weißkopfseeadler mit geöffneten Schwingen, der seinen rechten Fang auf einen Kiefernzweig gestellt hat und lesen UNITED STATES OF AMERICA / E PLURIBUS UNUM / HALF DOLLAR. Übrigens, wegen der nach links schreitenden Freiheit wurden diese Münzen schon bald „Walking Liberty Halves“ genannt.


Diese drei Münznominale mit speziellen Goldabschlägen zu feiern, wird beim Anblick ihrer imposanten und überaus ästhetischen Bildmotive sehr gut nachvollziehbar – schließlich gehören sie nicht nur zu den schönsten Geprägen des frühen 20. Jahrhunderts, sondern gleichzeitig auch zum Schönsten, was die amerikanische Numismatik in ihrer über 200-jährigen Geschichte jemals hervorgebracht hat.

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