top of page
Dietmar Kreutzer

Die Goldbörse von Shanghai


Seit dem 19. April 2016 ermittelt China seinen eigenen Gold-Referenzkurs, der zweimal täglich an der Shanghai Gold Exchange bekanntgegeben wird. Am Eröffnungstag lag der Kurs bei 256,92 Yuan pro Gramm, was 1.233,85 US-Dollar pro Unze entsprach. Gehandelt werden Goldbarren, Futures und Optionen. Damit entstand neben dem Londoner Goldmarkt, an dem der Referenzkurs zweimal täglich in Dollar ermittelt wird, ein zweiter bedeutender Goldmarkt.


Der moderne Goldhandel in China begann am 13. November 1921 mit der Gründung dem Shanghai Gold Industry Exchange. In den 1920er Jahren erreichte das dortige Handelsvolumen den dritten Platz weltweit, gleich hinter den führenden Gold-Umschlagplätzen von London und New York. Der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch (1885-1948) besuchte die Börse an der Kiukiang Road illegal nach einem Aufenthalt in der Sowjetunion im Jahr 1932. „Wir sind in der einzigen Goldbörse der Welt – der Raum entspricht einer so würdigen Stätte kaum: Latten statt Parketten, Bretterbuden statt Telefonzellen, barfüßige Kulis statt livrierter Grooms. Besen und Eimer stehen im Börsensaal umher.“ (Egon Erwin Kisch: China geheim, in: Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Band III, Berlin 1980, S. 433).


Mit einem Telefonhörer in der Hand standen die Angestellten der Makler und Bankiers an Bambusleitern oder hockten auf Gittern. Der Lärm, den sie verursachten, sei ohrenbetäubend: „So gellend brüllt kein Ertrinkender, so gierig stöhnt kein Hungriger, so verzweifelt schreit kein Überfallener, so herzzerreißend tobt kein Gefolterter.“ (Ebenda, S. 432). Beleuchtete Ziffern auf einer Glastafel gaben unaufhörlich das Steigen und Fallen des Goldpreises an. Die Dezimalzahl zeigte den Preis auf zehn Cent genau: 728,2 – 728,3 – 728,4 – 728,3. Potenzielle Käufer zeigten ihren Wunsch mit der rechten Hand und nach rechts gewandt, Verkäufer mit der linken und nach links: „Steigt in Kiukiang Road der Goldwert, so verkauft der Reiche im fernen Kiukiang seinen Ring, das Armband seiner Konkubine Nummer eins und den Haarschmuck seiner Gattin und freut sich diebisch mit jedem Silberstück, das er beim Verkauf mehr bekommt als er seinerzeit bezahlt hat. Steigt auf dem Weltmarkt das Silber, so kauft er für sich, seine neue Konkubine Nummer eins, seine Konkubine Nummer zwei und gegebenenfalls sogar für seine Gattin wieder Schmuck, und zwar neugemachten, denn der alte ist eingeschmolzen worden an jenem goldbedürftigen Termin.“ (Ebenda, S. 434).


In seiner Reportage Spekulationen mit dem Geld, aus der vorstehend zitiert wird, erläutert Kisch auch das chinesische Währungssystem. Rechnungseinheit sei der Silbertael mit einem Gewicht von etwa 31 Gramm, was einem Dollar und vierzig Cent entspreche. Die Tael-Barren in Form eines Schiffchens würden aber nur noch von wenigen Gießereien (chinesisch: Lufang) hergestellt. Heute werde meist in Dollar bezahlt: „Zwei Milliarden Silberdollar gibt es im Lande und kaum hundert Millionen Tael.“ (Ebenda, S. 437). Für das Alltagsgeschäft kursierten Unmengen an Kupfer: „Ein Chinesendollar ist gegenwärtig ungefähr einer deutschen Mark gleich. Aber er besteht keineswegs bloß aus hundert pfenniggleichen Münzen, vielmehr aus viel mehr, aus 290, in Worten: zweihundertneunzig talergroßen, talerschweren Kupfermünzen.“ (Ebenda, S. 439).


Damit weist Kisch darauf hin, dass der Dollar aus Silber und kleinere Silbermünzen zu 10 und 20 Cents nicht die einzigen Zahlungsmittel waren. Auch die alte Cash-Währung aus Kupfer habe überlebt. In Umlauf waren allerdings nicht mehr die traditionellen Lochmünzen aus der Kaiserzeit, sondern Kupferstücke zu zehn und zwanzig Cash. Diese Münzen seien die Währung der Straße: „Die Straßenbahn lässt sich die Fahrkarte in Kupfer bezahlen, der Schaffner presst die Münzenmassen in Säcke und die Säcke unter die Sitze der Passagiere, der Chinese entlohnt den Rikscha-Kuli in Kupfer, der Arbeiter, der mit Frau und kleinen und kleinsten Kindern aus dem Einrad-Karren aus der Fabrik heimfährt, entrichtet den Fahrpreis in Kupfer, der Straßenhändler, der Straßenschauspieler, der Straßenbettler erzielt nur Kupfer – es ist das schwerste und das am schwersten verdiente Geld.“ (Ebenda, S. 440).


Als die Japaner im Jahr 1937 in Shanghai einmarschierten, wurde die Goldbörse geschlossen. Nach ihrer Wiedereröffnung von 1945 konnte sie jedoch nicht mehr an ihre einstige Bedeutung anknüpfen. Als die Kommunisten im Jahr 1949 an die Macht kamen, führten sie den Renminbi (RMB) als alleinige Währungseinheit ein und verboten den Goldhandel. Die Goldbörse wurde erneut geschlossen. Erst im Zuge der Reformen nach dem Tod von Mao Zedong öffnete die chinesische Regierung ab 1979 schrittweise den Goldmarkt. In jenem Jahr erschienen die ersten Münzen aus Gold. Es handelte sich um eine Kollektion von Gedenkmünzen, die zum 30. Jahrestag der Volksrepublik erschien. Weitere Gedenkprägungen folgten. Die ersten Pandas, verschieden große Anlagemünzen aus Gold, erschienen im Jahr 1982. Ein Jahr später kam erstmalig Goldschmuck in die Läden. Ab 1993 ist in mehreren Stufen das staatliche Gold-Monopol aufgehoben worden, das mit einem Festpreis für das Edelmetall arbeitete. Am 30. Oktober 2002 wurde schließlich die Shanghai Gold Exchange gegründet, die größte Warenbörse der Volksrepublik China für den Handel mit Edelmetallen. Ihr Sitz befindet sich im Gebäude der früheren Russisch-Chinesischen Bank von Shanghai.

ความคิดเห็น


bottom of page