Da das Königreich Ungarn von 1867 bis 1918 Bestandteil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn war, in der seit 1892 die Kronenwährung galt, emittierte man in Ungarn genauso wie im Kaiserreich Österreich 1, 2 und 5 Kronenmünzen in 900er Silber und 10, 20 und 100 Kronenstücke in 900er Gold. Nun waren all diese Münzen zwar standardisiert, d. h. ihre technischen Parameter (Legierung, Gewicht, Durchmesser) waren in Österreich und Ungarn gleich, doch zeigten die Rückseiten in Ungarn andere Münzmotive als in Österreich. Auch lauten die Legenden auf den ungarischen Münzen in Ungarisch und auf den österreichischen in Lateinisch. In Anspielung daran, dass die Währung in Kronen (ungarisch Korona) ausgedrückt wird, zeigt das ungarische 1-Kronen-Stück rückseitig die ungarische Stephanskrone mit dem schiefen Kreuz. Auf den 2- und 5-Kronen-Münzen steht die Krone allerdings nicht mehr allein da, sondern wird von zwei schwebenden Engeln gehalten.
5 Korona 1900, 900er Silber, 24,00 g (21,6 g. fein), 36 mm, Auflage: 3.840.000 in Stgl., Münzstätte: Körmöczbánya-Kremnitz. Bildquelle: MA-Shops, Münzhandel A. J. Koci (CZ).
Zugegeben, das Motiv dieser eindrucksvollen Krone mit dem schiefen Kreuz, die von Engeln gehalten wird, ist überaus reizvoll und faszinierend. Aber weshalb wird sie ausgerechnet von Engeln gehalten? War dies Zufall oder Absicht? Mit anderen Worten, trachtete der Stempelschneider hier bloß danach, ein möglichst ansprechendes und dekoratives Münzmotiv zu gestalten oder steckte mehr dahinter? Nun, da die Betrachtung dieses Münzbildes uns in dieser Frage keinen Deut weiterbringt, auch wenn wir es noch so intensiv und lange studieren, scheint es sinnvoll, uns einmal das Rückseitenbild der 100-Kronen-Münze anzusehen, das im übrigen motivgleich ist mit dem Reversbild der 10- und 20-Kronen-Stücke.
100 Korona 1908, 900er Gold, 33,875 g (30,5 g. fein), 37 mm, Auflage: 4.038 in Stgl., Münzstätte: Körmöczbánya-Kremnitz. Bildquelle: MA-Shops, Münzkabinett Frank GmbH.
Tun wir das, so stellen wir fest, dass die Engel auch auf den Goldstücken erneut auftauchen. Diesmal halten sie aber nicht die Krone, sondern den Wappenschild des Königreichs Ungarn. Damit drängt sich der Verdacht auf, dass die beiden Engel nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern integraler Bestandteil des königlichen Wappens sein könnten. Um sicher zu gehen, müssen wir uns also auch das königliche Wappen jener Zeit anschauen.
Ungarisches Staatswappen (1867–1915), von Hugo Gerard Ströhl (Quelle: David Liuzzo, Wikimedia).
Und in der Tat, die Engel sind integraler Bestandteil des Staatswappens. Allerdings halten sie die Krone und nicht den Wappenschild. Sieht man sich das Staatswappen genau an, so erkennt man sehr schnell, dass sich zwar beide Münzen, sowohl die silberne als auch die goldene, an ihm orientierten, aber weder das gesamte Wappen noch einen Teil davon 1:1 kopierten, sondern sich bloß davon inspirierten. Denn auf beiden Münzen schweben die Engel mehr oder weniger stark der Krone bzw. dem Wappen entgegen und stehen nicht einfach nur frontal-heraldisch links und rechts daneben.