An der Nordküste Siziliens lag in der Antike die griechische Stadt Himera. Dies war die einzige bedeutende Griechenstadt an dieser Küste der Insel. Himera prägte während des letzten Viertels des 5. vorchristlichen Jahrhunderts bis zu seiner völligen Zerstörung durch die Karthager im Jahre 409 v. Chr. u. a. silberne Kleinmünzen im Nominal eines Hemilitrons (einer halben Litra). Da das Hemilitron einem Hexonkiai (einem sechs-Onkiaistück) entsprach, trug es auf seiner Rückseite auch ein Olivenblatt, das von jeweils drei Wertkügelchen flankiert wurde.
Himera (Sizilien). Hemilitron (um 425-409 v. Chr.) Silber, 0,44 g, 8,5 mm, Münzstätte Himera. Bildquelle: MA-Shops, Gorny & Mosch.
Aber wer ist auf dem Avers dargestellt? Nun, betrachtet man die Vorderseite etwas genauer, so erkennt man ein Mischwesen, das sich ob seiner eigenartigen Komposition kaum einordnen lässt. Denn, während der Kopf alleine genommen an Pan erinnert, tut dies der Rest, d. h. die geflügelte Vorderteilpartie ohne Kopf nicht. Pan besaß nämlich weder Flügel noch hatte er einen tierischen Oberkörper. Im Gegenteil, sein Körper war, wenn man einmal von seinen Bocksbeinen und seinen Ziegenhörnern absieht, der eines Mannes. Pan hatte menschliche Hände, mit denen er ja auch die „Syrinx“ (die Panflöte) spielte. Da das geflügelte Vorderteil besser zu einer Sphinx passen würde, wenngleich der gehörnte Männerkopf in diesem Zusammenhang auch etwas problematisch erscheint, interpretieren einige Numismatiker dieses Mischwesen auch tatsächlich als Sphinx. Im Münzkatalog Oliver Hoovers von 2012 heißt es diesbezüglich: „Obv. Forepart of winged sphinx r., with bearded male head and goat horns.“ (Oliver Hoover, The Handbook of Greek Coinage Series, Bd. 2, Handbook of Coins of Sicily, S. 131, Nr. 454). Dieser Interpretation kommt die Tatsache, dass auch die antike bildende Kunst nicht nur weibliche, sondern bisweilen auch männliche Sphingen kannte, sehr entgegen. „In der Frühzeit ist die Sphinx gelegentlich männlich, mit Bart und Helm, vom 5. Jh. v. Chr. an weiblich.“ (Hubert Cancik u. Helmuth Schneider [Hrsg.], Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 11, Sp. 818). Weil sie allerdings in der bildenden Kunst nicht gehörnt vorkommt, können sich längst nicht alle Numismatiker mit dieser Interpretation anfreunden, sodass sich einige bei der Beschreibung dieser Münze nicht auf eine Sphinx einengen lassen wollen und stattdessen lieber von einer Protome (einem Tier-Vorderteil) eines gehörnten, androkephalen (männergesichtigen) Flügelwesens sprechen. Doch ganz gleich ob nun Sphinx oder nicht, die Münze mit diesem eigenartigen, geheimnisvollen Mischwesen gehört zweifellos zu den interessantesten Kleinsilbermünzen des antiken griechischen Sizilien.
Ruinen des Victoriatempels von Himera. Bildquelle: Clemensfranz, Wikimedia Commons.