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Weshalb ausgerechnet Biene, Damhirschprotome und Dattelpalme?


Laut Karwiese startete Ephesos um 400 v. Chr. eine umfangreiche Tetradrachmenserie, deren Münzen auf der Vorderseite das Bildmotiv einer in Draufsicht dargestellten Biene aufweisen und auf der Rückseite eine Damhirschprotome mit zurückgewandtem Kopf und eine Dattelpalme mit zwei Fruchtständen zeigen.

Tetradrachmon (370-360 v. Chr.), 15,15 g, Ø (Höhe Vs.) 22,66 mm. Bildquelle: Künker, Auktion 204 (12. März 2012), Los 290.

Aber warum trugen die ephesischen Münzen überhaupt eine Biene, was hatte es damit auf sich? Nun, zum einen war diese ebenso wie der Hirsch ein heiliges Tier der Göttin Artemis und zum anderen hatte die neue Siedlung Ephesos die Biene zu ihrem Stadtwappen erwählt. In der Antike und im antiken Mythos galten Bienen nämlich als vorbildlich. „Den sozial und arbeitsteilig in einem Staat ... lebenden Bienen wurden positive menschliche Eigenschaften wie Fleiß, Tapferkeit, Keuschheit, Eintracht, Reinlichkeit, Verstand und Kunstsinn beigelegt“ (Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 2, Sp. 649), sodass man sich auch nicht wundern braucht, wenn die jungfräulichen Priesterinnen der Artemis „Honigbienen“ genannt wurden. Und doch war die Biene im ursprünglichen Artemiskult nicht vertreten, sondern entstammte dem Kult der hethitischen Natur- und Muttergöttin Kubaba (in Ionien auch Kybebe genannt). In den Kult der Artemis wurde sie vermutlich erst im 7. Jh. v. Chr. aufgenommen, als die Ionier die Eigenschaften und die heiligen Tiere der Kubaba zum Teil auf Artemis übertrugen. Wie eine antike Legende berichtet, soll der Vegetationsgott Telipinu eines Tages verschwunden und bald danach alle Blumen und Pflanzen eingegangen sein. Da Menschen und Göttern plötzlich große Not bevorstand, sandte die Natur- und Muttergöttin Kubaba einen Bienenschwarm aus, der ihn suchen sollte. Dieser fand ihn schließlich in einem Hain schlafend, weckte ihn mit seinen Stichen und der Vegetationsgott kehrte zurück und mit ihm alles pflanzliche Leben. Einer anderen Version zufolge war es nicht Kubaba, sondern die hethitische Mutter- und Geburtsgöttin Channachanna, die ihre Botin, eine Biene aussandte, um Telipinu zu suchen und zurückzuholen. Doch auch in diesem Fall war die Biene erfolgreich und Gott und Vegetation kehrten wieder. Berücksichtigt man, dass „Bienen-Honig ein seit prähistorischer Zeit überall in der antiken Welt verbreitetes Nahrungsmittel [war]“ (Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike, Bd. 5, Sp. 710) und dass die Bienen stets auf Blumen oder blühenden Pflanzen gesehen wurden, so wird vielleicht nachvollziehbar, weshalb die Biene im Mythos im engsten Umfeld von Natur-, Mutter- und Vegetationsgottheiten „landete“ und zu deren Botin oder heiligem Tier wurde.

Dass der Damhirsch als heiliges Tier der Artemis die Münzrückseite ziert, ist verständlich, aber weshalb steht links von ihm ausgerechnet eine Dattelpalme? Die Erklärung hierzu liefert die griechische Mythologie. Dieser zufolge war es eine Dattelpalme auf Delos, unter der die von Zeus schwangere Titanin Leto ihre göttlichen Zwillinge Apollon und Artemis zur Welt brachte. „Gelehnt an eine Palme und den Ölbaum der Pallas, brachte Latona [griechisch Leto] dort Zwillinge zur Welt, ...“ (Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, 6,335 ff.). Hirschprotome und Palme symbolisieren folglich Artemis und ihre Geburt.


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