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Falsche Fuffziger: Die Berlin-Stories des Christopher Isherwood


„Unter meinem Fenster die düstere Straße, eine massive Pracht. Kellerläden, in denen tagsüber Licht brennt, im Schatten gewaltiger, balkongeschmückter Fassaden, schmutziger Stuckfronten mit hervorquellenden Schnörkeln und heraldischen Symbolen. Das ganze Viertel ist so: Straßauf, straßab Reihen von Häusern, gleich schäbigen Riesengeldschränken, die vollgestopft sind mit den verblichenen Kostbarkeiten und mit den zweitklassigen Möbeln einer bankrotten Mittelschicht.“ (Christopher Isherwood: Leb wohl, Berlin. Frankfurt am Main 1986, S. 5) Mit diesen Sätzen beginnt Goodbye to Berlin, der Roman von Christopher Isherwood aus dem Jahr 1939, der mit Liza Minelli unter dem Titel Cabaret (USA 1972) erfolgreich verfilmt wurde. Die Handlung spielt im Berlin der Jahre 1929 bis 1933. Hier lebte Isherwood als Sprachlehrer. Er sei eine Kamera mit offenem Verschluss, schrieb der Autor. Er nehme nur auf, registriere nur, denke nichts. In „Nebenrollen“ treten viele der Münzen auf, über die die Weimarer Republik in ihren letzten Jahren verfügte.

Liza Minelli als Sally Bowles in dem Film-Musical Cabaret (USA 1972)

Bildquelle: Wikimedia, Allied Artists

In den wohlhabenden Vierteln vergütete man den Englischunterricht von Isherwood sehr sparsam: „Die Damen zahlten drei Mark für die Stunde – nur widerwillig, nachdem sie sich die größte Mühe gegeben hatten, mich auf zwei Mark fünfzig zu drücken. Außerdem versuchten die meisten von ihnen mich – absichtlich oder unbewusst – zu betrügen, damit ich über die verabredete Zeit hinaus bliebe. Ich musste stets die Uhr im Auge behalten.“ (Ebenda, S. 102) Zahlte eine der begüterten Damen einmal mehr, war ein Freudentanz fällig: „Sie fischte aus ihrer Handtasche einen Umschlag und reichte ihn mir. Ich steckte ihn ungeschickt ein und riss ihn erst auf, als das Bernsteinsche Haus außer Sicht war. Er enthielt ein Fünfmarkstück. Ich warf es hoch, ließ es fallen, fand es nach fünf Minuten langer Jagd wieder, vergrub es im Sand und legte den ganzen Weg zur Straßenbahn-Haltestelle im Laufschritt zurück, sang und stieß Steine vor mir her. Ich fühlte mich außerordentlich schuldbewusst und stolz, als wäre mir ein kleiner Diebstahl geglückt.“ (Ebenda, S. 19)

5 Reichsmark (Deutsches Reich, 1928, 500er Silber, 25 Gramm)

Bildquelle: Numismatic Guaranty Corporation

Das Elend in den Arbeitervierteln lernte Isherwood ebenfalls kennen. Viele arbeitslose junge Leute bettelten, verkauften Schnürsenkel oder sangen auf Hinterhöfen. Den Sängern wurde aus dem Fenster ab und zu ein in Zeitungspapier gewickelter Groschen hingeworfen. Notquartier war der Tiergarten: „In dieser Jahreszeit treibt die Kälte die Bauernjungen aus ihren kleinen ungeschützten Dörfern in die Stadt, nach Unterhalt und Arbeit. Aber die Stadt, die am Nachthimmel so hell und einladend über die Ebene erglühte, ist kalt, grausam und tot. Ihre Wärme ist ein Trugbild, eine Fata Morgana in der Wüste des Winters. Sie will diese Jungen nicht aufnehmen, hat ihnen nichts zu geben. Die Kälte treibt sie von den Straßen ins Gehölz, in ihr grausames Herz. Und da kauern sie nun auf den Bänken, verhungern oder erfrieren und träumen von ihrem unerreichbar weiten Ofen daheim.“ (S. 169)

2 Reichsmark (Deutsches Reich, 1926, 500er Silber, 10 Gramm)

Bildquelle: Waigand Sammlerwelt

Ein Teil der arbeitslosen Jugendlichen hielt sich mit Raubzügen und Prostitution über Wasser. Auch Otto Nowak, der 16-jährige Sohn von Isherwoods zeitweiliger Wirtin im Berliner Stadtteil Wedding, prostituierte sich gewohnheitsmäßig gegenüber wohlhabenden Ausländern. Die überarbeitete Mutter des Jungen stand hilflos am Kochtopf der Dachgeschoss-Kemenate und keifte: „Gottloser Bengel, du! Schämst du dich gar nicht, vor Herrn Christoph von solchen Sachen zu reden? Na, wenn er wüsste, woher diese zwanzig Mark und noch manches andere herkommen, dann würde er nicht eine Minute länger mit dir unter einem Dach bleiben; und das wär auch ganz richtig!“ (Ebenda, S. 98)

50 Rentenpfennig (Fälschung, durch Adler-Stempel und Loch entwertet)

Bildquelle: Münzhandel Fenzl

In seinem ersten Roman über das Berlin jener Jahre, der 1935 erschien, schrieb Isherwood wiederholt über das allgegenwärtige Misstrauen in finanziellen Angelegenheiten: „Die Geschäftsleute ließen alle Münzen prüfend auf den Ladentisch fallen, weil sie Angst hatten, sie könnten gefälscht sein.“ (Christopher Isherwood: Mr. Norris steigt um. Frankfurt am Main 1986, S. 96) Das 50-Rentenpfennig-Stück war besonders häufig gefälscht worden. Gerüchte besagen, dass bis zu 80 Prozent der im Umlauf befindlichen Münzen gefälscht waren. Einige Firmen und Geschäfte weigerten sich nach einiger Zeit sogar, diese Münze anzunehmen. Zum 1. Dezember 1929 wurde sie außer Kurs gesetzt. Als Ersatz fungierte ein neues 50-Reichspfennig-Stück. Als Isherwood zwischenzeitlich nach England abreist, fragt eine Freundin: „Was ist übrigens aus dem falschen Fuffziger geworden, den du eines Abends mitgebracht hast? Hieß er nicht Morris?“ Isherwood zuckt mit den Achseln: „Norris … Keine Ahnung. Ich habe seit Ewigkeiten nichts von ihm gehört.“ (Ebenda, S. 98)


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