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Verhängnisvolle Leidenschaft

Dietmar Kreutzer

Im besten Fall ist Sammeln ein Abenteuer. Dann geht es dem Sammler nicht nur um die „Jagd“ nach neuen Trophäen auf Sammlerbörsen oder im Internet. Die Sammlung ist ihm zudem ein Schlüssel zur Geschichte, zur Welt, zu anderen Menschen. Diese Schlüsselerlebnisse sind nicht nur dem Münzensammeln eigen: „So soll es Büchernarren geben, die die von ihnen gesammelten Bände nicht bloß ins Regal stellen und gelegentlich abstauben, sondern sie auch lesen.“ (Andreas U. Sommer: Die Münze als Sammelgegenstand. In: MünzenRevue 7-8/2000, S. 30)

Es gibt jedoch auch eine andere Art des Sammelns. Sie frisst Geld, das zur Lebenshaltung benötigt wird, und lässt vereinsamen. In Das Leuchten der Stille beschreibt der US-Autor Nicholas Sparks eine Vater-Sohn-Beziehung, in der das Sammeln von Münzen eine zunehmend verhängnisvolle Rolle spielt.

US-Buchautor Nicholas Sparks (geb. 1965)

Bildquelle: Official USAF-Website

„Wenn die Alltagspflichten erledigt waren, zog sich Dad in sein Arbeitszimmer zurück, um sich seinen Münzen zu widmen. Münzen waren die große Leidenschaft seines Lebens. Am glücklichsten schien er, wenn er in seinem Zimmer saß, den Münzhändler-Rundbrief studierte, der sich lustigerweise Greysheet, also Graublatt, nannte, und sich überlegte, welche Münze er als nächste für seine Sammlung kaufen könnte. Mein Großvater hatte die Münzsammlung begonnen, und sein großes Vorbild war ein Mann namens Louis Eliasberg gewesen, ein Banker aus Baltimore. Eliasberg war der einzige Mensch, der sämtliche Münzen der Vereinigten Staaten besaß, alle Daten und Prägungen. Eliasbergs Sammlung konnte es mit der des Smithsonian Museums aufnehmen, wenn sie nicht sogar noch besser war, und als meine Großmutter 1951 starb, kam mein Großvater auf die Idee, auch eine solche Sammlung anzulegen.“ (Nicholas Sparks: Das Leuchten der Stille. München 2007, Teil I, Kapitel 1)

Banker Louis Eliasberg (1896–1976) im Tresorraum

Bildquelle: Pinterest

Das Sammeln wurde zur Besessenheit. Der kleine Ladeninhaber aus Burgaw gab jeden Dollar für neue Münzen aus. Dreißig Jahre lang kaufte er kein neues Jackett, das ganze Leben über fuhr er denselben Wagen. Als für ein Studium des Sohnes kein Geld übrig war, fing jener eine Lehre bei der Post an. Vater und Sohn knüpften Kontakte zu allen wichtigen Münzhändlern der USA an, besuchten jede Münzmesse im Südosten der Staaten. Gemeinsam fuhren sie im Zug zu den Münzprägestätten, die Neuerscheinungen angekündigt hatten. Schließlich starb der Großvater: „Als Dad die Sammlung übernahm, war sie schon ziemlich wertvoll. Dann ging die Inflationsrate rapide nach oben, bis die Unze Gold 850 Dollar kostete, und die Sammlung war auf einmal ein kleines Vermögen wert. Mein Dad hätte problemlos in den Ruhestand gehen können. Aber weder mein Großvater noch mein Vater sammelten die Münzen des Geldes wegen; was sie reizte, war die Jagd, und sie genossen es, dass das gemeinsame Interesse sie so eng miteinander verband. Sie fanden es beide unglaublich spannend, nach einer bestimmten Münze zu fahnden, sie nach langen Mühen endlich aufzuspüren, und dann noch einen guten Preis auszuhandeln. Manchmal konnten sie sich eine Münze leisten, manchmal nicht, aber jedes einzelne Stück, das sie der Sammlung hinzufügten, war für sie ein Schatz.“ (Ebenda)

„Liberty-Head-Nickel“ aus der Sammlung Eliasberg

Bildquelle: Wikimedia, Crotalus

Als mit dem Erzähler John die dritte Generation heranwuchs, nahm das Unglück jedoch seinen Lauf: „Als Kind musste ich mich mit Wolldecken als Bettzeug begnügen, und ich bekam jedes Jahr höchstens ein paar neue Schuhe; es war nie genug Geld für Kleidungsstücke da, es sei denn, sie stammten von der Heilsarmee. Dad besaß nicht einmal einen Fotoapparat. Das einzige Bild, das es von uns gibt, wurde bei einer Münzmesse in Atlanta aufgenommen.“ (Ebenda) Als Sohn John mit dem eigenartigen Familien-Hobby in der Schule nicht mithalten konnte und keine Freunde fand, verlor er das Interesse an der Sammlung. Auch der Kontakt zu seinem Vater ging in die Brüche. Er begann zu trinken, schwänzte den Unterricht und blieb tagelang weg. Nach Hause zurückgekehrt, versuchte Dad ein Gespräch mit seinem unglücklichen Sohn zu beginnen: „Erinnerst du dich, wie wir nach Atlanta gefahren sind und du den Buffalo-Nickel entdeckt hast, nach dem wir jahrelang gefahndet hatten?“ Da brach es aus John heraus: „Ich habe es endgültig satt, mir dauernd diesen Münzen-Quatsch anzuhören. Die verdammten Münzen hängen mir zum Hals raus. Meinetwegen kannst du dir die Sammlung sonst wohin stecken!“ (Ebenda)

Burgaw, Kleinstadt im Südosten der USA

Bildquelle: Wikimedia, Matté

John suchte sein Glück bei der US-Army. Nach einer gescheiterten Beziehung und einem turbulenten Berufsleben hörte er vom Schlaganfall seines Vaters. Zum ersten Mal seit langer Zeit fuhr er nach Hause. Am Krankenbett kam es endlich zu einer Aussprache zwischen Vater und Sohn. Als Dad starb, verkaufte John die Münzsammlung. Das Geld schickte er einer früheren Geliebten, die damit den Heim-Aufenthalt und die Medikamente ihres todkranken Mannes bezahlte.


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