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Dietmar Kreutzer

Was Sammler gern übersehen: DIE ZEIT räumt mit Ostafrika-Mythos auf


Immer wieder wird in der numismatischen Fachpresse die Prägung von Weltkriegs-Notmünzen von 1916 im ostafrikanischen Tabora thematisiert. Die Entstehungsgeschichte der deutschen Goldmünzen zu 15 Rupien ist faszinierend, zweifellos. Dabei übersehen Numismatiker jedoch häufig den umfassenden historischen Kontext. Der sinnlose Kampf mit Tausenden von Toten, der ganze Landstriche verwüstete, wurde jahrzehntelang heroisiert. Der Beitrag „Der Untergang“ von Christian Staas in der ZEIT, Ausgabe 40/2018, befasst sich engagiert mit den Mythen um den Kampf der Kolonialtruppen von Deutsch-Ostafrika. Anlass ist der endgültige Zusammenbruch des deutschen Kolonialreiches vor 100 Jahren.

Paul von Lettow-Vorbeck

Bildquelle: Wikimedia, Noack

Paul von Lettow-Vorbeck, der Kommandeur der Schutztruppe in Ostafrika, wird bis heute gern als „Löwe von Afrika“ verehrt. Während ihn die deutsche Propagandapresse in den ersten Kriegsjahren links liegen ließ, wurde der tollkühne General ab 1917 zum Vorbild für die kriegsmüden Deutschen aufgebaut: „In der Kolonie zweifelt da schon mancher am Geisteszustand des Kommandeurs, doch keiner wagt es, sich ihm entgegenzustellen.“ Auch nach der Niederlage wurde der Mythos weiter gepflegt. Im Jahr 1920 erschienen die Erinnerungen von Lettow-Vorbeck unter dem Titel: Heia, Safari! Straßen in deutschen Städten wurden nach ihm benannt. Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel empfahl ihn 1964 als Vorbild für junge Rekruten. „Unbestechlich“ sei er in seinem Gerechtigkeitssinn gewesen, habe stets „Ritterlichkeit dem Gegner gegenüber“ walten lassen.

Tatsächlich war Lettow-Vorbeck (1870–1964) von Karrierestreben und mörderischer Rücksichtslosigkeit beherrscht. Obwohl Heinrich Schnee, der deutsche Gouverneur in Ostafrika, sich gegen aussichtslose Kriegseinsätze stellte, zog der General ins Gefecht. In der Vorstellung befangen, britische Soldaten in Afrika binden zu können, führte er einen kräftezehrenden Guerilla-Krieg. Den Preis zahlte die afrikanische Zivilbevölkerung. Mit solidem Lohn, darunter den legendären Tabora-Prägungen, sowie anderen Privilegien köderte er die einheimischen Askari für seine Truppe. Sie plünderten die Vorräte der Bauern, verschleppten und vergewaltigten die Frauen. Zwangsverpflichtete Träger verheizte der General zu Zigtausenden. Sie starben zumeist an Lungenentzündung und Malaria. Der kriegsbedingte Mangel an Arbeitskräften auf den Feldern führte dazu, dass sich vielerorts Hunger und Seuchen ausbreiteten. Die Zahl der Raubtiere stieg an. Die Tsetsefliege wütete. Ein Beamter der Zivilverwaltung schrieb: „Genickstarre, Schlafkrankheit, Pocken wüten überall.“

Deutsch-Ostafrika, 15 Rupien 1916, Gold, Detail

Foto: Autor

Nach dem legendären Gefecht mit den Briten bei Mahiwa, wo Mitte Oktober 1917 etwa 2.000 Menschen starben, zog sich Lettow-Vorbeck nach Portugiesisch-Ostafrika (heute: Mosambik) zurück. Ihrer Vorräte beraubt, wütete die Truppe während der wochenlangen Gewaltmärsche unerbittlich. Plünderungen und Gewalttaten gegen vermeintliche Gegner waren an der Tagesordnung. Die von den Askaris nach Portugiesisch-Ostafrika verschleppten Frauen wurden hilflos in der Wildnis ausgesetzt. Als die Truppe im September 1918 auf eigenes Territorium zurückkehrte, bestand sie noch aus 168 Europäern, 1.000 Askari, einigen Hilfskräften und Gefangenen. Ein Teilnehmer der uniformierten Horde erinnerte sich: „Unsere Spur ist bezeichnet von Tod, Plünderung und menschenleeren Dörfern.“ Am 12. November 1918 kam es zu einem letzten Gefecht mit den Briten. Am Tag danach erfuhr Lettow-Vorbeck von einem kriegsgefangenen Briten, dass in Europa bereits die Waffen schweigen. Am 25. November 1918 ergab er sich als letzter deutscher General.


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