Seit April 2015 zeigt das Museum August Kestner in Hannover „Die Jahrhundertmünze“. Die Präsentationsreihe konzentriert sich – alle drei Monate wechselnd – immer auf eine Münze und beleuchtet ihren historischen Hintergrund. Verantwortliche Kuratorin ist Dr. Simone Vogt, der wir auch die Texte verdanken.
Nach vierzehn Jahrhunderten Münzgeschichte ist man in Hannover inzwischen im 8. Jahrhundert nach Chr. und bei Karl dem Großen (768–814) angekommen. Somit ist die erste Hälfte der Münzgeschichte seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. bis in unsere heutige Zeit durchlaufen. Das hat man im Museum August Kestner zum Anlass genommen, alle bisherigen Jahrhundertmünzen gleichzeitig bis 28. Oktober 2018 erneut zu zeigen und so Geschichte(n) anhand von Münzen zu erzählen.
Wir dürfen nun wöchentlich voranschreitend die bisher gezeigten „Jahrhundertmünzen“ aus Hannover hier präsentieren. Noch schöner sind sie nur im Museum August Kestner, Trammplatz 3, 30159 Hannover; Öffnungszeiten: Di-So 11–18 Uhr, Mi 11–20 Uhr, Mo geschlossen.
Die 9. Jahrhundertmünze:
3. Jahrhundert n. Chr.
Reich der Kushan, Vasudeva I. (ca. 190–225 n. Chr.), Dinar, Gold (Museum August Kestner, Inv.-Nr. 1913.208)
Jenseits der Grenzen des Römischen Reiches
Die 9. Jahrhundertmünze lenkt den Blick auf eines von vier Großreichen der damals bekannten Welt. Das Römische Reich, die persischen Sassaniden und das alte China teilten sich die Weltbühne mit den Kushan, welche aus einem westchinesischen ‚Clan‘ hervorgegangen sind. Sie eroberten Teile des heutigen Nordindien und Afghanistan (siehe Karte). Dabei unterwarfen sie zahlreiche Völker, von denen einige seit den Eroberungen Alexanders des Großen griechisch geprägt waren, z. B. die Baktrier. Ein griechischer Einfluss ist in der Kunst- und Münzproduktion unübersehbar.
Das Reich der Kushan. Karte aus wikipedia, PHGCOM
Die Römer bezogen Waren aus Indien und anderen asiatischen Gebieten, und die Handelswege durchquerten das Gebiet der Kushan. Somit begründete das asiatische Volk seinen Reichtum auf Zwischenhandel und erhielt in großen Mengen römische Goldmünzen. Diese wurden zu eigenen Münzen umgeprägt, wofür unsere Münze ein Beispiel ist. Daneben gab es als Kleingeld Kupfermünzen. Silber wurde nicht ausgeprägt.
Die Vorderseite der Münze im Museum August zeigt Großkönig Vasudeva I. in aufwändiger Tracht mit zahlreichem Beiwerk (reg. ca. 190–225 n. Chr.). Er trägt Hosen, eine Rüstung und eine Krone. Außerdem ist ein Nimbus (vgl. Heiligenschein) zu erkennen. In der linken Hand hält er eine Dreizacklanze; auch rechts im Bildfeld sieht man einen mit Bändern geschmückten Dreizack. Mit der rechten Hand opfert der König über einem kleinen Altar. Solche Bilder von Opferhandlungen sind in der griechisch-römischen Kunst sehr verbreitet, auch in der Münzprägung. In griechisch-baktrischer Schrift erscheinen Name und Titel des Vasudeva als Umschrift.
Vielfalt der Götter
Die Rückseite dürfte die Hindu-Gottheit Shiva meinen. Sein Unterkörper ist mit einem langen Schurz bekleidet, der Oberkörper ist nackt. Er hält links ebenfalls einen Dreizack und rechts eine Girlande. Der in der hinduistischen Religion dem Shiva zugeordnete Bulle Nandi steht hinter ihm. Im Bereich der Schulter findet sich ein Tamgha, also eine Art Siegelzeichen des Vasudeva I. Wiederum in griechischer Schrift ist OESHO beigeschrieben, was als baktrischer Name des Shiva gedeutet wird.
Neben Shiva sind auch Götter anderer Religionen als Rückseitenmotive auf den Kushan-Münzen bekannt: Artemis und Fortuna als griechisch-römische Göttinnen werden mit Lakshmi (ebenfalls Hindu) bzw. der spätbabylonischen Nanaia identifiziert. Außerdem wurde Buddha abgebildet, und sehr selten sind Münzen mit dem griechisch-ägyptischen Gott Serapis.
Allerdings gibt es bezüglich der Kushan-Religion und -Kultur noch zahlreiche Unsicherheiten. Auch die Datierung dieses Weltreiches ist noch nicht gesichert. Der Niedergang begann jedenfalls bald nach dem Tod des Vasudeva I. Einen großen Teil seines Reiches eroberten die Sassaniden; der Rest verlor an Bedeutung.